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Mit Knastmythos zugemüllt

Der Südwestrundfunk hat drei Gefängnisse besucht. Fast 25 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ ist am heutigen Samstag Ortstermin in Stuttgart-Stammheim („Orte des Erinnerns“, SWR, 21.00 Uhr)

von PETRA GROLL

Geschichtsdokus haben Hochkonjunktur. Besonders bei den Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem Aufklärungsanspruch und Bildungsauftrag. Jetzt also drei „Orte des Erinnerns“: Bautzen, Stammheim, Landsberg. Dreimal 45 Minuten über deutsche Gefängnisse. Wogegen eigentlich nichts einzuwenden ist. Die Idee, eine Gesellschaft am Umgang mit ihren Gefangenen zu untersuchen, ist so abwegig nicht.

Nach Bautzen (Sendetermin: 9. Februar), dem Abgrund realsozialistischer Staatsräson, und vor Landsberg (23. Februar), wo Hitler einsaß und wo nach den Nürnberger Nachfolgeprozessen verurteilte Nazis exekutiert oder eingesperrt wurden, am heutigen Samstag Ortstermin in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. 25 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ besucht Susanne Stenner den 7. Stock, jenen angeblich „absolut sicheren“ Teil des Knastes, in dem am 18. Oktober 1977 die Untersuchungsgefangenen Gudrun Ensslin erhängt, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe erschossen und Irmgard Möller mit schlimmen Stichwunden gefunden wurden und wo ein „Mythos über alle Gefängnismauern hinweg“ entstand. Und das unter „Kontaktsperre“, jener politisch-juristischen Käseglocke, die nicht nur verhindern sollte, dass Gefangene miteinander kommunizierten, sondern sie auch von der Außenwelt abschnitt.

Die Wörter „Mythos“ und „Legende“ dröhnen so lockend und häufig, dass der Zuschauer gar nicht umhin kommt, die Entschleierung irgendwelcher Wahrheiten zu erwarten. Und dann sind es die üblichen „Zeitzeugen“, hunderte Mal schon von hunderten anderen Journalisten befragt: Horst Bubeck und Hans Nusser von der JVA, Ulrike Meinhofs Tochter Bettina Röhl, der schillernde ehemalige RAF-Unterstützer Peter Jürgen Book. In die Jahre gekommen zumeist und routiniert in ihrer Rolle, geben sie unfreiwillig komische, weise, ja subversive Worte von sich: „Da prallten zwei Welten aufeinander.“ – „Da hat man alle Zeit dieser Welt“, über Sicherheitslücken nachzudenken. „Es gibt kein sicheres Gefängnis.“

Wie viel mehr Aufschluss geben da doch die alten Zitate. „Kaviar und Sex in Stammheim“ (Bild) – „Anomymer Mord“ (der damalige Strafverteidiger Otto Schily nach Ulrike Meinhofs Selbstmord im Mai 1976) – „Die Gefangenen werden gefoltert“ (Jean Paul Sartre nach seinem Besuch bei Andreas Baader in der JVA) oder: „Hi’mache!“ (aufgebrachte schwäbische Anwohner während der Schleyer-Entführung im Herbst 77). Im O-Ton steckt Musik. Viel mehr als in den in wildem Galopp geschnittenen Nachrichtensequenzen aus den 70ern: Hendrix, Dutschke, Vietnam, Mondlandung.

Müßig, erneut die Öffnung von Akten zu verlangen oder sich an Interviews mit Zeitzeugen zu versuchen, die nicht sprechen wollen. Aber warum nicht 45 Minuten an Fragen verschwenden wie diese: Wie geht es eigentlich der letzten Handvoll noch immer gefangenen RAF-Leute? Wer sitzt jetzt in den (Hoch-)Sicherheitsabteilungen, im Stammheimer 7. Stock? Was denken die Globalisierungsgegner von heute über die Theorien der Verschwörungsapostel von gestern? Wohl möglich, dass „die Geschichte“ nicht auf jede Frage eine Antwort parat hat. Besser aber Fragen stellen, als mit Geschichtsrecycling alle Fragen zumüllen.

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