■ Mit Japans Reformen auf du und du: Hashimoto bleibt ruhig
Tokio (taz) – Wer in Tokioter Wirtschaftskreisen verkehrt, ist es gewöhnt, abfällig auf die Politik hinabzublicken: „Erstklassige Wirtschaft, drittklassige Politik“ lautet der alte Thekenspruch japanischer Manager, der seit dem Comeback der seit 1955 nur mit kurzer Unterbrechung regierenden Liberaldemokraten aktueller denn je erscheint.
Dennoch beschäftigt Premier Ryutaro Hashimoto die Wirtschaftsbosse derzeit stark. Seit seinem überzeugenden Sieg bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst hat sich Hashimoto nämlich für einen radikales Reformprogramm verbürgt, das Japan verändern würde. „Big Bang“ lautet Hashimotos Formel, mit der er den mächtigen Staatsbürokratien die Kontrolle über die Finanzmärkte des Landes entreißen will. Bis zum Jahr 2001, sagt Hashimoto, sei der Finanzplatz Tokio ein freier Markt wie die City in London oder die Wall Street in New York. „Wenn wir diese Herausforderung ignorieren, wird uns die globale Flut überrollen“, droht der Premier denen, die ihn aufgrund der Hoffnungslosigkeit seines Unternehmens belächeln.
Nicht einmal der eigene Halbbruder nimmt den Regierungschef beim Wort: „Es besteht kein Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit“, kommentierte unlängst Daijiro Hashimoto, Gouverneur der Präfektur Kochi. „Aber wie weit er die Reformen durchsetzt, steht zur Debatte.“ Wer am Donnerstag die honorigen Vorsitzenden der fünf Kommissionen, denen die Ausarbeitung der Reformen obliegt, beim ersten Brainstorming beobachtete, konnte den Big Bang leicht als ein Phantasieprodukt abtun.
Dennoch nehmen diesmal selbst ausgebuffte Insider den Premierminister ernst: „Viele Leute glauben an Hashimoto, weil sich an nichts anderes mehr glauben läßt“, bemerkt Kyohei Morita, Ökonom beim Nomura-Forschungsinstitut. Das hat mit den Selbstzweifeln in der Finanzbranche nach dem Platzen der großen Spekulationsblase zu tun. „Wo wir uns nicht helfen können, muß uns die Politik helfen“, heißt es in den Chefetagen der großen Tokioter Banken.
Hashimoto aber wird sich, wenn er sein politisches Gespür nicht verloren hat, die Reformen zweimal überlegen. Vielleicht ist es ja ganz nützlich, wenn die Politik in Japan drittklassig bleibt und dabei die kleinen Leute nicht ganz außer acht läßt. Georg Blume
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