: Mit Grundgesetz gegen Rechtsradikale?
■ Kann die rechtsradikale Volks-Union öffentliche Räume verlangen oder verbietet Grundgesetz-Artikel 139 die Jahresversammlung im ICC? / Uneindeutigkeiten von Grundgesetz und alliierten Sonderrechten für Berlin / Unterschiedliche Einschätzungen der Rechtslage
Die „geltende Rechtslage“ sei auf Seiten der Rechtsradikalen. So heißt es bei der landeseigenen Ausstellungs- und Messegesellschaft AMK, die der Deutschen Volks-Union (DVU) am kommenden Sonntag Räume im ICC zur Jahresversammlung vermietet (taz berichtete).
Die grundgesetzlich gesicherte Versammlungsfreiheit gelte eben auch für Neo-Faschisten und Rechtsradikale solange die Organisationen nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten seien, vertritt die AMK-Sprecherin Rita Stark. Deswegen sei auch der einstimmige Beschluß des Abgeordnetenhauses vom Juli letzten Jahres, in dem die Raumvergabe an die DVU verboten wurde, ohne Bedeutung. Als Präzedenzfall wird die fachistische Mun-Sekte angeführt, die sich im Sommer 1987 mittels Verwaltungsgericht die vom ICC gekündigten Räume wieder sicherte.
In der Bundesrepublik hat das Verwaltungsgericht Frankfurt im Dezember 1985 gegen die NPD jedoch anders entschieden. Die Richter verwiesen dabei auf den Grundgesetz-Artikel 139. Darin heißt es, daß „die zur 'Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‘ erlassenen Rechtsvorschriften von den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht berührt werden“. Die im Jahre 1945 von den Allierten erlassenen Entnazifizierungsgesetze verbieten jede Handlung, „die in irgendeiner Weise den Fortbestand oder die Wiederaufnahme“ nationalsozialistischer Aktivitäten „vorbereiten oder zur Folge haben könnten“.
In Berlin ist Artikel 139 überhaupt noch nicht zur Anwendung gekommen, obwohl das Grundgesetz in der Stadt uneingeschränkt gilt. Dennoch ist die Situation durch alliierte Sonderrechte unklar. So ist - anders als in der Bundesrepublik - der NPD in Berlin durch die Alliierten die öffentliche Betätigung untersagt. Verboten ist die NPD aber nicht.
Ob eine Klage nach Paragraph 139 Erfolg hätte, ist deshalb unter Anwälten umstritten. Geklärt werden müsse, so Anwalt Hajo Ehrig, ob es für ein Raumverbot ausreichend sei, daß die DVU nationalsozialistisches Gedankengut vertrete, oder ob sie als Nachfolgeorganisation der NSDAP anzusehen sei. Die Alliierten müßten die DVU-Versammlung verbieten, sieht Anwalt Reiner Geulen den einfachsten Weg. Untersagung per Alliierter Anordnung ist auch für die AL-Justitiarin Rosemarie Giesen der beste Weg: sonst komme man wieder in die Diskussion um Berlin als Teil der Bundesrepublik. Und diese Diskussion möchte die Partei nicht aufrühren.
gn
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