: Mit Erich in die Marktwirtschaft
Gesichter der Großstadt: Mit Honeckers „Moabiter Notizen“ kam für den ehemaligen DDR-Journalisten Frank Schumann der verlegerische Durchbruch ■ Von Christoph Seils
Als Deutschland noch geteilt war und das SED-Regime noch fest im Sattel saß, griff der Ressortleiter Kultur der FDJ-Zeitung Junge Welt, Frank Schumann, gerne zur Honecker-Biographie „Aus meinem Leben“, um seinen Mitarbeitern zu erklären, wie ein ordentlicher Beitrag auszusehen habe. Erst mit dem entsprechenden Zitat, so erinnern sich damalige Kollegen, seien viele Beiträge einer Veröffentlichung für würdig befunden worden.
Doch der ehemalige SED-Generalsekretär hat das Leben von Frank Schumann auch nach der Wende begleitet und bestimmt. Das erste Buch, das im Januar 1992 in dem von ihm und zwei Freunden gegründeten Verlag „edition ost“ erschienen war, trägt den Titel „Wir woll'n unsern alten Erich wieder ham!“ Es beinhaltet Honecker-Zitate aus 40 Jahren DDR, über die die Ossis jetzt lachen können. Der „Klassiker zum Ablachen“ (Eigenwerbung) fand bis heute rund 20.000 Käufer.
Fast doppelt so oft verkaufte Schumann das Buch, das ihn mit einem Umsatz von über einer Million Mark zum Erfolgsverleger in den neuen Bundesländern aufsteigen ließ: Erich Honeckers Lebenserinnerungen „Moabiter Notizen“. Im Mai 1994 hörte der Hobbyverleger von den vergeblichen Bemühungen eines Honecker- Vertrauten, einen Verlag für dessen Memoiren zu finden. Mit einem Riecher für das gute Geschäft schlug Schumann zu. Zehn Tage später starb der einst mächtigste Mann der DDR in Santiago de Chile. Eine bessere Promotion hätte man nicht bekommen können, weitere vier Wochen später waren die ersten 10.000 Exemplare der plumpen Rechtfertigungsschrift auf dem Markt.
Seitdem stapeln sich auf Schumanns Schreibtisch die zu Papier gebrachten Lebensbeichten einstiger DDR-Größen. Über 40 Bücher hat „edition ost“ inzwischen herausgebracht. Die Erinnerungen des letzten DDR-Verteidigungsministers, Heinz Kessler, sind gerade erschienen sowie ein ausführliches autobiographisches Gespräch mit dem bereits 1992 verstorbenen Politbüromitglied Hermann Axen. Während Kessler sich auf 250 Seiten rechtfertigt, benennt Axen die Verantwortung der SED für den Untergang der DDR, und wo er sich nicht erinnern kann oder nicht erinnern will, erschließt sich der Kontext aus den kritischen Fragen des Gesprächspartners.
„Die Bücher tragen unterschiedlich zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte bei“, weiß auch Verleger Schumann, aber dennoch sei jedes Zeugnis eine Annäherung an die Wahrheit. Die einseitige westdeutsche Geschichtsbetrachtung sei ihm zu wenig. Jedes Buch habe seine Berechtigung, wendet er gegen den Vorwurf ein, mit den Rechtfertigungsschriften der einstigen Täter sein Geld zu verdienen und zur Legendenbildung beizutragen. Selbstverständlich belege manches Buch nur die Tatsache, daß der Autor zu Recht in die Wüste geschickt worden sei.
Das Geschäft mit Biographien der DDR-Größen läuft gut. Regelmäßig tauchen die Bücher in den ostdeutschen Bestsellerlisten auf. Aber auch im Westen, darauf verweist Schumann stolz, gäbe es ein wachsendes Interesse an ostdeutscher Zeitgeschichte. 40 Prozent seiner Bücher setzt er dort ab.
Frank Schumann hat eine Nase für Bücher, die sich gut verkaufen. Er ist ein schneller und guter Schreiber. Reden schreibt er für PDS-Politiker, als Ghostwriter hat Schumann bereits eine Reihe von Biographien verfaßt. Daß er die PDS-Politiker ganz überwiegend für „unfähig“ hält, daraus macht er keinen Hehl. Dennoch ist es seine Partei, und er lebt gut von ihr. Wahlkampfzeitungen hat er für die PDS erstellt, das Mitgliedermagazin erscheint in seiner Verantwortung, und er besitzt die Titelrechte an der PDS-nahen Wochenzeitung Berliner Linke. Die nutzt Schumann schon mal, um seine Partei zu beschimpfen oder Politiker auch persönlich herabzuwürdigen. „Ich leiste mir in meinem zweiten Leben eine eigene Meinung“, betont er selbstbewußt.
In seinem ersten Leben war Schumann ein treuer Parteisoldat, der mit harter Hand über die Parteilinie wachte. Nach der Wende fanden ehemalige Kollegen denunziatorische Berichte in ihren Kaderakten, die Schumann verfaßt hat, selbst über deren Privatleben. Diese Zeiten sind vorbei, jetzt weht ein anderer Wind. Prominentester Leser der „edition ost“ ist Bundespräsident Roman Herzog. Auf Staatsbesuch in Uganda wurde ihm kürzlich ein Buch überreicht, das die Geschichte der Entdeckung der Nil-Quellen erzählt. Historische Reprints sind neben satirischen und zeitgeschichtlichen Büchern das dritte Standbein des Verlages. Schumann witterte seine Chance und bat den Bundespräsidenten um eine Widmung. „Alles Gute für das Werk und den Verlag“, so schrieb Herzog zurück. Die Worte des ersten Mannes im vereinten Deutschland zieren nun den Verlagsprospekt der historischen Reihe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen