: Mit Dank an Sascha
„AM LIT — neue Literatur aus den USA“. Galrev schickt US-Autoren auf Lesereise ■ Von Peter Laudenbach
Vorbilder des im Ostberliner Galrev-Verlag erschienenen Buches AM LIT sind unverkennbar Rolf Dieter Brinkmanns Anthologien Acid und Silverscreen: Mit ihnen machte Brinkmann 1969 eine weithin unbekannte amerikanische Avantgarde in der Bundesrepublik bekannt und hielt nicht nur Autoren wie Bukowski oder Frank O'Hara erstmals einem (in jeder Hinsicht) breiten deutschen Publikum vor die verblüfften Gesichter, sondern inspirierte auch für einige Jahre die subkulturelle Literaturszene hier. Dreiundzwanzig Jahre später unternehmen der Lyriker Gerhard Falkner und der amerikanische Literaturwissenschaftler Sylvère Lotringer den Versuch, ähnliches wie Acid für die neunziger Jahre zu leisten. Dabei haben sie einen gründlichen Schiffbruch erlitten: Wenn das, was ihr voluminöses Buch versammelt, die relevante Undergroundliteratur jenseits der offiziellen Stars sein soll, dann muß man trocken feststellen, daß diese Szene außer Epigonentum, Geschwätzigkeit und pubertären Scherzen derzeit wenig zu bieten hat.
1969 mag das Spiel mit pornographischen Einlagen und Tabuverstößen provokant gewesen sein; es heute zu wiederholen zeugt nur von der eigenen Rückständigkeit. Typisch für diese anachronistischen Geschmacklosigkeiten ist das Photo einer nackten, knüppelschwingenden und mit Ketten behängten, sehr dicken Frau, auf deren Brust ein Hakenkreuz gemalt ist.
Offenbar meint Gerhard Falkner seine Parole im Vorwort ernst: „Don't think, read!“ Es überwiegt der schnoddrige, betont kunstlose Alltagsslang, der vor allem sagt, daß man nichts erlebt, nichts zu sagen hat, mit Literatur sowie nichts zu tun haben will, dafür aber ungeheuer relaxed ist. Das versucht offenbar an die seltsame Begabung Frank O'Haras oder an den kunstvoll-kunstlosen Klassiker William Carlos Williams anzuknüpfen, ohne jemals deren sprachliche Dichte und Schönheit zu erreichen. Was entsteht, ist selten mehr als ein ermüdendes Gemurmel der Banalitäten, die durch Drogenkonsum und Sex auch nicht aufregender werden: „Bob und ich sind in der/ Morgenland-Cafeteria/ weil wir auf acid sind/ und Bob ist ganz sicher/ wenn wir nicht irgendwas essen/ werden wir STERBEN und/ ich sage ihm immer wieder/ ich habe keinen Hunger aber seine/ Augen sind schwarz und glänzen/ in der furchtbaren Überzeugung/ daß wir ESSEN MÜSSEN oder umkommen werden/ also bestellen wir zwei Magic Kingdom Burgers...“ und so weiter und so weiter. Man kann solche Texte nicht lesen, ohne zwangsläufgig eine starke Sehnsucht nach einer gediegenen normativen Poetik zu entwickeln, die festlegt, was ein Gedicht ist und was höchstens als miserabel geschriebenes Tagebuch durchgehen kann.
Daneben stehen exzentrische Reaktionen auf ein trostloses Land, ebenso kunstlos, aber genauer in der Wahrnehmung: Dokumente einer an sich selbst erstickenden Gesellschaft, „lost in the stars and stripes“. Nur selten stößt der Leser auf literaisch kraftvolle Texte; das schillernde Talent Kathy Ackers, der trockene Witz der Erzählung Sylvère Lotringers und das seltsame Textdelirium Michael Brodskys sind glänzende Ausnahmen dieses über weite Strecken langweiligen Buches.
Trotzdem ist die hier vorgelegte Sammlung noch in ihrem Scheitern beeindruckend: Die Herausgeber durchstreifen ein hierzulande weithin unbekanntes literarisches Terrain. Kaum ein Text wurde zuvor auf deutsch veröffentlicht, fast alle der über sechzig, meist jungen Autoren sind hier vollkommen unbekannt. Sichtbar wird, wie die literarischen Subkulturen seit den Beatniks verkümmerten zu selbstgefälligen epigonalen Übungen: Man kann die Endmoräne einer einst kraftvollen Avantgarde besichtigen. Möglicherweise verrät dieses Buch, gerade in seinen mißratenen Texten, einiges über die Mentalität des gegenwärtigen nichtkonformistischen Teils Amerikas: Es ist vollkommen richtungslos, mit einem kräftigen Hang zu Zynismus und morbiden Scherzen, ohne Hoffnung, ohne das mindeste politische Bewußtsein und vollkommen kraftlos.
Abgerundet wird der Band durch einen „Dank an Sascha Anderson as usual“, womit klargemacht wird, in welche Tradition aus Pseudorevolte, diffusen Texten und Spekulation sich das Buch stellt. Neben dem Herren von der Staatssicherheit bedanken sich die Underground-Importeure artig beim „Auswärtigen Amt Bonn, insbesondere Herrn Bruns und Herrn Pölchen“ und „dem Senat von Berlin, insbesondere Dr. Dietger Pforte“ und beklagen larmoyant, daß sie für ihre subkulturellen Taten kein Geld von der Lufthansa bekommen haben.
Zum Erscheinen des Buches veranstaltet der kleine Verlag eine aufwendige Lesereise: Sieben der amerikanischen Autoren werden in dieser Woche in deutschen Städten zu hören sein. Mit dabei sind Kathy Acker und der Punk-Musiker Richard Hell.
Gerhard Falkner, Sylvère Lotringer (Hg.): AM LIT , 430 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 40 DM, Druckhaus Galrev,
Kathy Acker, Richard Hell, Sylvère Lotringer, Chris Kraus, Eileen Myles, Ann Rower und Lynne Tillmann lesen am 24.Juni im Literaturhaus Frankfurt und am 26.Juni im Literaturhaus Berlin, (Fasanenstr. 23), jeweils 20 Uhr.
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