Mit Comics gegen Lukaschenko: Die Vergessenen wehren sich

Die 29-jährige Künstlerin Marina Naprushkina dokumentiert die manipulierte Wahl in Weißrussland und die Folgen. Dafür verwendet sie einen 16-seitigen Comic.

Protest in Comicbildern festgehalten. Bild: privat

Fast täglich Festnahmen von Aktivisten der Opposition, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme vom Materialien bei Menschenrechtsgruppen. Und immer noch über 30 politische Gefangene, denen im Fall einer Verurteilung wegen Aufstachelung zu Massenunruhen Haft droht, bis zu 15 Jahre: Weißrussland, knapp zwei Monate nach den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010. Doch die andauernden Repressionen gegen Regimekritiker sind den meisten Medien dieser Tage kaum noch eine Zeile wert.

Diesem Nachlassen der Aufmerksamkeit möchte die Weißrussin Marina Naprushkina etwas entgegensetzen. "Der überzeugende Sieg - Zwei Geschichten, wie es wirklich war" heißt das Projekt der 29-jährigen Absolventin der Minsker Kunsthochschule und der Hochschule für bildende Künste in Frankfurt am Main (Städelschule), die seit 2010 zwischen Berlin und Minsk pendelt.

Gegenpropaganda

Hinter dem "Überzeugenden Sieg" verbirgt sich eine 16-seitige Zeitung, in der Naprushkina die Geschehnisse in Weißrussland zwischen dem 27. November 2010 und dem 12. Januar 2011 im wahrsten Sinne des Wortes nachzeichnet: in Form eines Comics, der sowohl die offizielle Propaganda als auch die Sichtweise der Opposition dokumentiert und beide einander gegenüberstellt. Auf der letzten Seite sind noch einmal alle diejenigen namentlich genannt, die seit dem Wahlabend in Gefängnissen sitzen.

Die Idee zu dem Comic entstand, kurz nachdem das Regime des autoritären Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko unerwartet brutal gegen tausende Demonstranten vorgegangen war. Diese hatten am Abend des 19. Dezember gegen seinen "Sieg" - nach offiziellen Angaben hatte er rund 80 Prozent der Stimmen erhalten - protestiert.

Noch ganz unter dem Schock der Ereignisse und etwas ermüdet von den Mahnwachen vor der weißrussischen Botschaft in Berlin, besann sich Naprushkina auf, wie sie sagt, "die besonderen Mittel, die einem Künstler in einer solchen Situation zur Verfügung stehen". In ihrem Fall hieß das: sich der gleichen Mittel wie die weißrussische staatliche Propaganda zu bedienen und die Propaganda dadurch als solche zu entlarven. Anfang des Jahres griff sie zum Stift - fast vier Wochen lang und bis zu 14 Stunden täglich saß sie an der Arbeit an ihrer Zeitung. Anfang Februar ging das Blatt in Druck - 20.000 Exemplare in Russisch, 10.000 in Englisch. Finanziert wurde die Aktion durch Spenden, private Mittel und einen Obolus der Konrad-Adenauer-Stiftung für die englische Fassung.

Derzeit verschickt Naprushkina ihre Botschaft, die auch im Internet abrufbar ist, in alle Welt: in die USA, nach Kanada sowie in 13 west- und osteuropäische Staaten, darunter Russland, Moldau und die Ukraine. Die Adressaten sind Angehörige der weißrussischen Diaspora, Diplomaten, Universitäten und weißrussische Oppositionelle im Exil. Auch nach Weißrussland selbst ist die Zeitung unterwegs. Zahlreiche Aktivisten hätten sich dort angeboten, um den "Überzeugenden Sieg" zu verteilen, sagt Naprushkina. Und das, obwohl sie sich dadurch in Gefahr brächten.

Neue Ausgabe geplant

Schon denkt die Künstlerin an eine aktualisierte, erweiterte Ausgabe. Sie will das Projekt fortsetzen, das ihr endlich einmal wieder Energie verleiht. Die ist auch nötig, denn so schnell dürfte sich in Weißrussland nichts ändern. Dennoch: "Durch die Ereignisse nach den Wahlen ist ein Teil der Gesellschaft aufgewacht und bezieht jetzt endlich Position", sagt Naprushkina. "Das ist auf jeden Fall etwas Positives."

www.office-antipropaganda.com

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