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■ Mit Autobilanzen auf du und duTödliche Lust

Berlin (taz) – Jede Stunde liefen im letzten Jahr 555 Autos von deutschen Bändern. Jede Stunde entsteht somit mehr als eine tödliche Maschine: Denn durch jeden 450. zugelassenen Wagen stirbt ein Mensch; jedes hundertste Auto macht jemanden zum Krüppel. Und mit jedem siebten wird ein Kind, eine Frau oder ein Mann verletzt. Diese Bilanz veröffentlichte kürzlich die Zeitschrift fairkehr.

Das ist ja erschreckend, werden die meisten BundesbürgerInnen denken. Aber die graue Statistik erspart ihnen, zunächst zumindest, die blutige Realität. Und so geben über die Hälfte nach wie vor an, zum Auto eine positive Einstellung zu haben.

Wer höhere Werte als die eigene Mobilität ins Feld führt, verweist gerne auf die Notwendigkeit, daß die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gesichert werden müßten – schließlich hängt jeder siebte Job in Deutschland direkt oder indirekt vom Bau der Blechkisten ab. „Vergessen wird dabei, daß auf drei Arbeitsplätze in der Automobilindustrie ein Mensch im Straßenverkehr sein Leben verliert“, kommentiert fairkehr.

Noch nicht eingerechnet sind in diesen Zahlen diejenigen, die zum Beispiel durch Kohlenwasserstoffemissionen des Verkehrs an Krebs erkranken. Der Verlust an Lebenszeit und Gesundheit geht dabei überwiegend auf Kosten derjenigen, die nicht selbst hinterm Steuer sitzen. Alte, Kinder und Kranke sind nicht nur die häufigsten Unfallopfer. Sie leiden auch am meisten unter der Luftverpestung. Und wer sich nur eine Wohnung an einer Hauptverkehrsstraße leisten kann, gehört ebenfalls tendenziell weniger zur Kaste der Autobesitzer, dafür aber eher zur Opfergruppe.

Für die Bäume hierzulande wird sogar jeder rollende Stinker zur tödlichen Gefahr. Statistisch gesehen ist jeder PKW für das Absterben von drei Bäumen verantwortlich. Zehnmal so viele Tannen, Buchen und Eschen sind durch die Auspuffgase bereits erkrankt. Und ihr Ableben ist nur noch eine Frage der Zeit – denn die Abgasmenge aus den Auspuffrohren wächst beständig. Längst ist der Katalysatoreffekt schon wieder durch immer mehr und immer dickere Autos aufgefressen worden. Inzwischen kommen über die Hälfte der Stickoxide und Schwefeldioxide aus den Abgasrohren.

Dem Liebling Auto wird zudem eine wesentlich größere Fläche zugebilligt als dem Normalbürger. Pro PKW wurden in Deutschland bereits 200 Quadratmeter Fläche zubetoniert. Wer aber kann eine derartig große Wohnung sein eigen nennen? Insgesamt übertrifft der Bewegungsraum für Autos die gesamte Wohnfläche um etwa 60 Prozent – und das, obwohl es in diesem Land immerhin noch mehr als doppelt so viele Menschen wie Autos gibt.

Die Erwärmung des Erdklimas geht auch zu einem Großteil auf die Kappe der Blechkistenarmee. Nicht nur beim Fahren selbst entsteht das Treibhausgas CO2. Auch bei der Herstellung werden enorme Mengen Kohlendioxid freigesetzt. Mit etwa 31 Prozent sind die AutomobilistInnen hierzulande an der Aufheizung des Erdklimas beteiligt – mit fatalen Folgen beispielsweise für Bangladesch, wo der Meeresspiegel beständig steigt.

Und schließlich schafft die Lieblingsindustrie der Deutschen auch noch Müllberge. Rund 25 Tonnen sind zurückgeblieben, wenn der stolze Besitzer sein Vehikel beim Händler abholt. Der meiste Abfall entsteht dabei in den Herkunftsländern der Rohstoffe. Allein bei Kupfer fallen Zehntausende von Tonnen Müll an, um nur eine Tonne Reinerz zu gewinnen. Annette Jensen

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