: Mit 250 Sachen von Berlin nach Hannover
■ Die Schnellbahntrasse zwischen Berlin und Hannover soll im Eilverfahren in Bau gehen/ Probelauf schon für 1997 geplant/ UmweltschützerInnen melden Bedenken an/ Magdeburg bleibt außen vor
Stendal. Im „Fliegenden Köllner“ konnten vor einem halben Jahrhundert Fahrgäste der Eisenbahn binnen einer Stunde und 58 Minuten zwischen Berlin und Hannover reisen. Die Züge erreichten 1939 auf der Schnellverbindungsstrecke eine Geschwindigkeit von 133,4 Kilometer pro Stunde. Heute dagegen scheint bei einer Fahrzeit von rund vier Stunden zwischen beiden Städten beinahe „Blumenpflücken während der Fahrt erlaubt“. Das aber soll und wird sich bald ändern. Die Trasse zwischen Berlin und Hannover hat nicht nur im innerdeutschen Eisenbahnverkehr höchste Priorität, sondern gehört zu den wichtigen Eisenbahnmagistralen im großräumigen europäischen Verkehrskonzept. Für Mitteleuropa sieht das EG-weit angelegte Hochgeschwindigkeitsnetz drei große Ost- West-Achsen vor: die von London-Paris über Brüssel, Köln und Hannover nach Berlin und Warschau, eine weitere von Paris über Straßburg, München nach Wien, Budapest und Bukarest sowie die von Barcelona über Lyon, Mailand und Zagreb nach Belgrad. Im Jahre 2010 sollen im europäischen Eisenbahnnetz mindestens 9.000 Kilometer Neubaustrecken für Geschwindigkeiten von 250 km/h vorgesehen werden. Vor diesem Hintergrund informierten Anfang dieser Woche in Stendal die Geschäftsführer der Planungsgesellschaft Hannover-Berlin über den weiteren Verlauf der Arbeiten an dieser Strecke als integrierter Bestandteil des geplanten europäischen Netzes.
An der Planungsgesellschaft Schnellbahnbau Hannover-Berlin, verantwortlich für die Trasse in Sachsen-Anhalt und Brandenburg, sind die Deutsche Bundesbahn mit 50,1 Prozent und die Deutsche Reichsbahn mit 49,9 Prozent beteiligt; Büros werden in Hannover und Berlin unterhalten. Geschäftsführer Weber aus der niedersächsischen Hauptstadt sagte, daß das schon vor Jahren zwischen den damals noch existierenden zwei deutschen Staaten angedachte Projekt der Hochgeschwindigkeitsstrecke bei der nun veränderten politischen Lage so aktuell wie nie zuvor sei. Im Korridor zwischen Hannover und Berlin werden „Verkehrsmengen und -ströme erwartet, die alles bisherige in den Schatten stellen“. Innerhalb kürzester Frist sei eine zweigleisige Hochgeschwindigkeitsstrecke, verbunden mit der Rekonstruktion der bestehenden eingleisigen Stammstrecke, zu bauen.
Die Entscheidung fiel zugunsten der Nordtrasse über Oebisfelde, Gardelegen, Stendal und Rathenow, die gegenüber der Südtrasse über Magdeburg und Marienborn „unter topografischen Gesichtspunkten günstiger“ erscheine. Als Vorteile genannt wurden auch „günstige ökologische Bedingungen und die Parallellage zur vorhandenen Strecke“, was ein vergleichsweise geringes Bauaufkommen bedeute.
Seit zehn Monaten laufen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg die Raumordnungsverfahren für die neue Strecke, für Juni 1991 wird die Beschlußfassung erwartet. Danach soll das Planfeststellungsverfahren beginnen, der Trassenverlauf detailliert ausgewiesen, der Grundstücksbedarf ermittelt und die zu errichtenden Anlagen festgeschrieben werden. Schon im Herbst 1992 könnte Baubeginn sein, so der optimistische Ausblick der Planer. Insgesamt bleiben für den Bau der 153 Kilometer langen zweigleisigen Strecke zwischen Oebisfelde und Staaken am Rande Berlins dann nur gut drei Jahre, denn das Jahr 1996 werde für die Streckenausrüstung benötigt.
Bevor die ersten ICE zwischen Hannover und Berlin fahrplanmäßig in einer Stunde und 45 Minuten hin und herflitzen können, ist 1997 der Probebetrieb vorgesehen. Der vorgezeichnete zeitliche Rahmen sei das absolute Minimum für eine derartige Aufgabe, so die Geschäftsführung. Für ähnliche Strecken in der Bundesrepublik wurden bisher mindestens 12 bis 15 Jahre veranschlagt.
Zur geplanten Trasse hat es in der zurückliegenden Zeit mehrfach Bedenken von Umweltschützern gegeben. Kurz vor dem Abschluß steht jetzt eine Umweltverträglichkeitsstudie, die Untersuchungen des Bodens, des Wassers und der Biotope innerhalb eines acht Kilometer langen Korridors entlang der Strecke enthalten soll. Die Planungsgesellschaft ist zuversichtlich, für Knackpunkte wie das Großtrappenschutzgebiet zwischen Buckow und Nennhausen, die Elbe oder den Drömling einvernehmliche Lösungen mit den Kommunen, Naturschutzstationen und Bürgern zu finden. Lange umstritten war auch die Einbindung des Bahnhofs Stendal in die neue Streckenführung, wofür es in der Altmarkstadt viele Befürworter gab. Letztendlich festgelegt wurde die südliche Umfahrung von Stendal mit der Begründung, daß die im Jahr 2010 erwarteten 650 Züge am Tag an diesem Verkehrsknoten ungünstige Auswirkungen auf die Kommune hätten. Statt dessen soll nun die vorhandene eingleisige Strecke für 160 km/h ausgebaut und elektrifiziert, später eventuell um ein zweites Stammgleis erweitert werden. Dadurch werde eine Einbindung Stendals, das mit der geplanten nördlichen Eisenbahntrasse Richtung Salzwedel/Uelzen bis zu den Nordseehäfen zusätzliche Bedeutung erhält, an das Intercitynetz gesichert, hieß es. Es sei vorgesehen, daß an die 100 Intercity- und Interregiozüge in wenigen Jahren täglich zwischen Berlin und Stendal verkehren.
Die Kosten für das gigantische Projekt belaufen sich nach derzeitigem Erkenntnisstand auf insgesamt fünf Milliarden Mark. Davon entfällt mit drei Milliarden der größte Brocken auf die Neubautrasse zwischen Oebisfelde und Staaken, billiger wird es auf den 22 Kilometern innerhalb Berlins, wo es von Staaken aus über Friedrichstraße zum Hauptbahnhof gehen wird. Dort allerdings ist die Hochgeschwindigkeitsstrecke auch keine solche mehr, denn ab Charlottenburg sind nur noch 60 km/h erlaubt. Im Niedersächsischen wird die vorhandene Strecke Hannover-Oebisfelde über rund 100 Kilometer ebenfalls zu relativ geringen Kosten ausgebaut. „So weit als möglich“ sollen für Planung und Bau des Gesamtprojekts auch ostdeutsche Firmen gebunden werden, aber Erfahrungen und Kenntnisse beim Schnellbahnbau seien angesichts der kurzen Zeitdauer bis zur vorgesehenen Fertigstellung unbedingt erforderlich. Außen vor scheint bei dem Gesamtvorhaben Sachsen-Anhalts Hauptstadt zu bleiben. Magdeburgs Stadtväter hatten sich engagiert, aber ergebnislos für die Streckenführung der Schnellbahn über die Südtrasse und damit die Elbestadt eingesetzt. Alternativ soll nun die Magistrale zwischen Berlin und dem Raum Magdeburg-Braunschweig mit möglichen Geschwindigkeiten von 160 km/h ausgebaut werden. Der Ausbau für die Strecke von Marienborn bis zur Landeshauptstadt ist bis 1992 vorgesehen, drei Jahre später soll er auch von Berlin über Potsdam, Brandenburg nach Magdeburg fertig sein. Gudrun Oelze (adn)
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