lost in lusitanien
: Mit 18 fängt die Karriere an

MATTI LIESKE über den modernen Fußball, der den Nachwuchs bevorteilt und altgediente Kräfte immer früher ausrangiert

Warum das mit den Bulgaren nichts werden konnte bei dieser Europameisterschaft, liegt auf der Hand. Natürlich ist der Trainer schuld. Plamen Markow hat es nicht gewagt, Waleri Boschinow vom italienischen Klub US Lecce in den Angriff zu stellen. Und sollte das deutsche Team heute Abend an der Aufgabe gegen Tschechien scheitern, könnte der Fall ähnlich liegen: Ohne Podolski fahrn wir wieder heim. Boschinow ist 18 Jahre alt, nur unwesentlich jünger als Lukas Podolski, und dies ist eindeutig die EM der Youngster. Jeder Trainer, der über seinen Schatten sprang und sein Nesthäkchen aufstellte, wurde belohnt. Wer dies früh genug tat, sogar sehr reichlich.

Zugegeben, der Schatten, über den Sven-Göran Eriksson in Sachen Wayne Rooney springen musste, war nicht besonders groß. In England ist man weit eher als in anderen Ländern geneigt, jungen Spielern Verantwortung auf höchster Ebene zu übertragen. Die älteren Kollegen beißen die neue Konkurrenten um ihre Plätze im Team gemeinhin nicht weg, sondern versuchen, sie zu integrieren und ihnen zu helfen. Davon weiß zum Beispiel Robert Huth zu berichten, der gelegentlich in der Abwehr vom FC Chelsea spielt, beim DFB aber noch in der U 20 herumkrebst. Rooney hat schon eine ganze Menge Premier League beim FC Everton hinter sich, und kaum hatte er dort die ersten Großtaten vollbracht, händigte ihm Eriksson schon das Trikot mit den drei Löwen aus. Darum wirkt der 18-Jährige, abgesehen vom „puren, puren Talent“ (Eriksson), bereits wesentlich reifer als seine Altersgenossen, auch was taktisches Verhalten, Defensivarbeit und Mannschaftsspiel anbelangt. Inzwischen hat er sich sogar so gut eingewöhnt, dass er sich traut, den Coach als „Sven“ zu bezeichnen, wenn er über ihn spricht. Zuvor war es noch „Mr. Eriksson“ oder, im besten Liverpudlian, „the gaffer“, der Boss.

Meist sind die jungen Burschen Stürmer, die unbekümmert, dynamisch, schnell und ungestüm zu Werke gehen, wie der 20-jährige Fernando Torres, der gegen Portugal erstmals bei dieser WM von Anfang an für Spanien stürmte – zu spät – und mit seinem Tempo Abwehrgrößen wie Carvalho oder Andrade in größere Misshelligkeiten stürzte als sein berühmter Kollege Raúl. Oder der Schweizer Johann Vonlanthen (18), der gegen Frankreich endlich – zu spät – ins Team kam, gleich traf und Rooney als jüngsten Torschützen der EM-Geschichte ablöste. Hätte Trainer Köbi Kuhn mehr Mut bewiesen, die Spiele gegen Kroatien und England wären möglicherweise anders gelaufen. Schneller geschaltet hat der schlaue Felipe Scolari, der bereits nach der ersten Katastrophen-Halbzeit der Portugiesen gegen Griechenland den 19-jährigen Cristiano Ronaldo von Manchester United brachte und ihn gegen Spanien in die Stammformation stellte. Nach anfänglichen Problemen, etwa dem von Ronaldo verursachten Elfmeter gegen die Griechen, wurde Scolari reichlich belohnt. Die Holländer haben Arjen Robben (20) und Wesley Sneijder (20), die Russen Dmitri Sytschew (20), die Deutschen außer Podolski noch Bastian Schweinsteiger (19). Fast schon alte Hasen in dieser Parade bemerkenswerter Angreifer sind Italiens Antonio Cassano (21), Schwedens Zlatan Ibrahimovic (22) und der Stuttgarter Kevin Kuranyi (22).

Aber auch abseits der vordersten Reihe lässt sich bei dieser EM feststellen, dass der Fußball jünger wird. Das Durchschnittsalter der Mannschaften ist deutlich geringer als bei früheren Turnieren, Stars, welche die 30 gerade überschritten haben, wirken wie einst solche, die sich der 40 näherten. Leute wie Zidane (32), Figo (31), Rui Costa (32), Henrik Larsson (32), Edgar Davids (31) denken langsam an Abschied aus dem Nationalteam oder werden schnöde verdrängt, Spieler wie Desailly (35), Mostowoi (35), Couto (34) oder Chapuisat (34) scheinen fast aus einer anderen Fußballwelt zu kommen.

Der Grund für die rapide Verjüngung ist die drastisch erhöhte Geschwindigkeit und Intensität des Spiels. Taktisch hat sich seit der Revolutionierung durch die ballorientierte Raumdeckung Anfang der Neunziger kaum Wesentliches getan, aber das System wird von den Spitzenteams immer schneller gespielt. Permanente Aufmerksamkeit, extensive Laufarbeit und immerwährendes Eingreifen sind gefordert, nachlassende Antrittschnelligkeit und Kraft durch Routine und Stellungsspiel wettzumachen, funktioniert nicht mehr. Ruhepausen für konditionsschwächere Veteranen sind erst recht nicht drin, Positionen, die weniger Einsatz fordern, gibt es nicht mehr – außer Torwart. Bei denen ist Erfahrung noch gefragt, eine Menge Keeper dieser EM sind über 30.

Abgesehen von den Torhütern haben zum Beispiel England und Spanien überhaupt keinen Akteur mehr im Kader, der die 30 überschritten hat, bei Italien stehen nur ein paar in der Abwehr. Das DFB-Team ist mit neun Leuten über 30 wie meist eines der ältesten, übertroffen nur von Ottos Griechen und (sic!) den Franzosen (jeweils 10), deren große Mannschaft ebenso vor der Rente steht wie Portugals goldene Generation, deren Großteil Scolari schon abserviert hat: Nur fünf Ü 30-Spieler sind im Aufgebot der Gastgeber. Ein Vorbild für die WM 2006 und das deutsche Team. Aber Rudi Völler ist dem Einbau junger Spieler ja grundsätzlich nicht abgeneigt. Und vielleicht kommt doch noch Podolski.