Misslungener WM-Einstand von Katar: Krasse Unterlegenheit
Beim Auftakt der WM enttäuscht Gastgeber Katar gegen Ecuador. Das Publikum wandert noch während der Partie in Scharen ab.
„Im Namen Allahs, des Gnädigsten, des Barmherzigsten, heiße ich jeden willkommen zu dieser Weltmeisterschaft“, sagte Emir Tamim Al Thani. Dann sprach der polyglotte Fifa-Präsident Gianni Infantino im Stadion Al Bayt ein paar Worte auf Arabisch: „Ahlan wa sahlan bekom, aelat korat ghadam“, was übersetzt so viel bedeutet wie: „Willkommen, Fußballfamilie!“ Gekommen waren über 67.000 Fans in jene Arena, die einem Wüstenzelt nachempfunden ist und als Solitär in der Steppe steht. Die Besucher wurden am Eingang von einem Trupp berittener Katarer, hoch zu Kamel, empfangen, das erste folkloristische Highlight dieses überraschend kühlen und windigen Abends.
Bei der Eröffnungsfeier wurde unter anderem US-Schauspieler Morgan Freeman mit einem bunten Lichtspektakel in Szene gesetzt. Er unterhielt sich mit Ghanim Al Muftah, einem Botschafter dieser WM. Al Muftah leidet am kaudalen Regressionssyndrom, einer Fehlbildung des unteren Rumpfes. Dieses Bild des Dialogs zwischen einem schwarzen Westler und einem behinderten Araber sollte eine Symbolkraft entfalten, die dieses beargwöhnte Championat so dringend braucht.
Doch in den VIP-Lounges der hohen Politik war fast nur die arabische Welt zugegen, angefangen beim saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman, Ägyptens Präsident Abdel Fattah el Sisi, Algeriens Präsident Abdelmadjid Tebboune, Recep Tayyip Erdoğan aus der Türkei, dem König von Jordanien, Abdullah II., dem Sultan von Oman, Haitham bin Tarik, und dem Palästinenserpräsident Mahmud Abbas – um nur einige Staatenlenker aus diesem Kulturkreis zu nennen.
Sie alle waren gespannt, wie sich die katarische Fußballnationalmannschaft wohl schlagen wird in diesem Turnier. Kann sie mithalten? Ist sie gar für eine Überraschung gut? Die Fragen müssen nach dem ersten Auftritt der vom Spanier Félix Sánchez gecoachten Mannschaft fürs Erste mit einem klaren Nein beantwortet werden.
Nicht einmal zweitklassig
Das Team, das sich zuletzt in Österreich fit gemacht hatte, enttäuschte auf ganzer Linie. Fahrig, nervös, ja geradezu mit schlotternden Knien spielte die Auswahl um Kapitän Hassan Al-Haydos von Minute eins an. Sie erreichten über weite Strecken des Spiels nicht einmal das Niveau der zweiten deutschen Bundesliga, obgleich sie von etwa 300 Fans in weinroten Katar-Trikots lautstark angefeuert wurden; sogar einen sogenannten Capo, also einen Fan-Instruktor, hatten sie aufgeboten.
Doch all das nutzte nichts, denn schon nach wenigen Minuten stand es 1:0 für Ecuador. Nach einer zweifelhaften Abseitsentscheidung wurde der Treffer von Enner Valencia annulliert – und die WM schien ihren ersten, kleinen Skandal zu haben, denn das Fachpublikum im Al-Bayt-Stadion sah überwiegend keinen Grund für eine Revision. Es sollte nicht zum Problem für die Südamerikaner werden, denn Valencia netzte noch zweimal ein, per Kopfball und Elfmeter. Die Gelbhemden müssen sich allenfalls vorwerfen lassen, nicht noch höher gegen die inferioren Gastgeber gewonnen zu haben. Der frühe Eindruck der krassen Unterlegenheit hatte sich in der Halbzeit zur Gewissheit verdichtet, weswegen etliche Katarer schon zu ihren SUVs gepilgert waren; das Stadion leerte sich.
Selbst die katarische Jubeltruppe hatte sichtbare Verluste erlitten, und spätestens ab Minute 80 war die Arena halb leer. Mahnend schrieb Arab New“ nach dem ernüchternden Abend in Al Chaur: „Coach Sánchez braucht nun ein positives Resultat im Spiel gegen Senegal, um der Schmach zu entgehen, als zweites Gastgeber-Team nach Südafrika 2010 schon in der Gruppenphase rausgekickt zu werden.“
Man gab zu bedenken, dass es in der 92-jährigen WM-Geschichte die Heimmannschaft immerhin 16 Mal geschafft hat zu gewinnen. Es muss die Katarar gewurmt haben, dass dann auch noch Mohammed bin Salman, der vor Jahren einen groß angelegten arabischen Boykott Katars orchestriert hat, mit einem vergifteten Angebot um die Ecke kam: Er habe alle staatlichen Stellen und Ministerien von Saudi-Arabien angehalten, jede Unterstützung zu gewähren, die von Katar zur Bewältigung der WM nötig sei.
Unterstützung könnte Félix Sánchez gebrauchen. Seit 2006 lehrt er in Katar Fußball. Im Jahr 2019 hat er mit dem A-Team sogar die Asienmeisterschaft in den mit Katar verfreundeten Vereinigten Arabischen Emiraten gewonnen. In der Pressekonferenz nach dem Spiel hörte der 47-Jährige gar nicht mehr auf, die Defizite seiner Schützlinge aufzuzählen. Man müsse sich in Passspiel und Taktik verbessern, schneller, robuster, vertikaler und kompakter spielen. Fast schon ratlos sagte er: „Hm, eigentlich haben wir Topspieler in unseren Reihen, mit viel Potenzial.“ Das gilt es nun schnell abzurufen, denn der Clan der Al Thanis hasst diese Art der Demütigungen vor den Augen der Welt.
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