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Misshandlungen im EmmentalDer Schweizer Kinderhandel

Bis in die siebziger Jahre schickte der Staat in der Schweiz Kleinkinder auf Bauernhöfe. Dort mussten sie schuften und wurden gequält – auch Peter Weber.

Das Schweizer Emmental ist eine Idylle. Für die Verdingkinder war es das Gegenteil. Bild: dapd/AP

Wenn einer schlechte Laune hatte, damals auf dem Bauernhof im Schweizer Emmental, dann klatschte er Peter Weber eine. Das macht dem nichts, hieß es, der ist dem Teufel vom Wagen gefallen. Und was die Erwachsenen vormachten, das machten die Kinder nach.

Als Peter Weber einmal eine Schubkarre zu früh in die Kurve zog, kippte sie um, das Getreide fiel in den Graben. Da wurde die Bauerntochter wütend. Sie warf ihn zu Boden und trat ihm in die Eier, immer wieder. Da war Peter Weber noch ein Junge. Ein Verdingkind.

Heute ist er 56 und wohnt in Basel in einem Hochhaus. Damals schuftete Weber, wie hunderttausend andere Kinder, auf einem Bauernhof in den Bergen, bei einer fremden Familie. Und die bekam Geld dafür – vom Staat. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Verdingkinder noch wie Vieh auf Märkten versteigert – und später dann von den Armenbehörden der Schweiz offiziell als Pflegekinder auf Bauernhöfe gebracht.

Ein guter Deal: Der Staat musste sich nicht um teure Kinderheime kümmern. Und die Familien bekamen Geld von den Behörden dafür, dass sie Verdingkinder aufnahmen.

Mit sechs Jahren das erste Mal eine Unterhose

Bild: taz
SONNTAZ

Die Ganze Geschichte „Im dunklen Tal seiner Kindheit“ über das Verdingkindwesen in der Schweiz mit Fotos von Stefan Pangritz und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 17. März 2012. Am Kiosk, eKiosk oder im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Und so schälte Peter Weber Kartoffeln, rieb sie auf einer Röstireibe und verfütterte sie an die Hühner, er half bei der Getreideernte, er schleppte Brennholz, er durfte kein Fleisch essen, die anderen schon, und als er mit sechs Jahren eingeschult wurde, mähte er morgens noch schnell das Gras, fütterte und molk die Kühe, ging in die Schule und danach direkt wieder in den Stall. Es war die Zeit, als er zum ersten Mal eine Unterhose anziehen durfte. Wegen des Turnunterrichts.

Jahrzehnte sind vergangen, bis Peter Weber über seine Kindheit sprechen konnte. Noch heute plagen ihn Hodenschmerzen. Er hatte zwei Herzinfarkte, leidet an Diabetes und einer Nervenkrankheit. Wenn eine Hand seinem Kopf zu nahe kommt, zuckt er zusammen. Denn es bedeutet Schläge. Aber all das macht er nicht der Bauerntochter und auch nicht den Eltern zum Vorwurf. Sondern der staatlichen Behörde, die ihn auf diesen Hof gebracht hat.

Erst 1978 schaffte die Schweiz das Verdingkinderwesen mit einem nationalen Gesetz endgültig ab.

Inzwischen gibt es dort eine Wanderausstellung zum Thema und einen Spielfilm. Mehrere Kantone haben den Betroffenen offiziell ihr Bedauern ausgesprochen, die Regierung hat eine nationale Entschuldigung angekündigt, die nun erwartet wird.

Peter Webers bester und einziger Freund während seiner Kindheit war das Netteli. Der Hofhund. „Kochen und mit den Hunden sein, das sind die zwei Dinge, die ich kann“, sagt Peter Weber heute.

Was geschieht, als er aufbricht, den Hof von damals zu besuchen, wie sich Historiker das Verdingkinderwesen erklären und wie Weber heute mit seinem Hund Rambo lebt, lesen Sie in der Ganzen Geschichte „Das dunkle Tal seiner Kindheit“ in der sonntaz vom 17. März 2012. Am Kiosk, eKiosk oder im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

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8 Kommentare

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  • GB
    Godi Brunner

    Ich bin auch ein Betroffener jetzt 81jährig. Mein gekürzter Lenemslauf auf netzwerk-verdingt.ch unter Zeitzeugen ersichtlich. Ja, ich hatte es auch nicht besonders gut. Allerdings, meine beiden jüngeren Schwestern die auch anderswo Verdingt wurden hatten es sehr gut. Man darf es also nicht verallgemeinern. Übrigens: der heutigen Jugend täte es auch gut wenn sie etwas leisten müsste und nicht nur mit Handys etc. Spielen. Inzwischen habe ich es verdaut, jedoch nicht vergessen. Herzliche Grüsse aus der Schweiz. Godi bei SKYPE =

  • PW
    Peter Wyss

    Fuer weitere Zeitzeugenberichte lesen sie auch hier

     

    http://www.netzwerk-verdingt.ch/doku/zeitzeugen_p_s.html

  • G
    gesche

    ich habe inzwischen den vollständigen Artikel der Printversion gelesen, er ist schwer zu ertragen. Wie dieser kleine Junge behandelt wurde, zerbricht mir das Herz. Welche maßlose Seelenfäulnis hat diese Leute befallen? Das ist einfach purer Sadismus: das einzige Wesen, mit dem der Junge gemeinsam sein konnte, den Hund, als erste Fleischmahlzeit zu servieren. Ein Abgrund an Grausamkeit.

     

    Und jetzt? will niemand etwas wissen, soll es nicht ausgesprochen werden, werden die Leut' bös, wenn jemand da nachfragt - ja, hat es sowas eh nie gegeben.

     

    GUT, DASS DAS SCHWEIGEGEBOT GEBROCHEN WIRD!

     

    Schande über die Verantwortlichen!

  • DS
    Die Schatten-/Schandseite der bäuerlichen Kultur

    Danke für den Artikel, etwas dazu auch auf: www.verdingkinderreden.ch

  • W
    Werner

    Schon schlimm, was in unserem aufgeklärten und christlichen Europa alles so möglich war und ist. Wo waren denn die Herren Pfarrer und die christliche Gemeinde?

  • I
    Ingo

    Sehr schlau Kinder aus dem eigenen Land zu nehmen.

    Wären es Zwangsarbeiter aus dem Ausland gewesen, hätten diese

    die Bauernfamilien einfach ausgelöscht.

     

    In Deutschland gab es Bauern die gut zu den Leuten waren und

    welche die schlecht waren während des Krieges.

    Die Leute, die die Ostarbeiter schlecht behandelt haben

    wurden nachher einfach brutal getötet.

     

    Und mit solchen Leuten kann ich auch kein Mitleid haben.

  • G
    gesche

    was für eine Rohheit und Grausamkeit, ein kleines Kind, das auf Schutz und Zuwendung angewiesen ist, so zu behandeln. Einfach furchtbar. Das "Verdingkind"-System (schon das Wort!) hat der Staat zu verantworten, die Schläge und emotionale Grausamkeit ist aber auf dem Mist dieser sogenannten Pflegefamilien gewachsen, man hat sie wohl kaum dazu gezwungen.

    Ich wünsche den ehemaligen derart mißbrauchten Kindern, dass sie innere Ruhe finden - und eine staatliche Entschädigung. Auch wäre eine Entschuldigung seitens der Familien angebracht, aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben.

  • K
    kontra

    Die Schweiz eines unserer Nachbarländer, welches immer so sauber und rein erscheinen möchte, ich betone ERSCHEINEN MÖCHTE. Man sollte dieses Land mit seinen angeblichen Perfektionismus und seinem oftmals angewandten Neutralitätsverhalten genauer unter die Lupe nehmen. Es ist wohl eine Schande was dort mit den Kindern veranstaltet wurde. Ausbeutung, Unterdrückung und schwere Misshandlungen von Schutzbefohlenen. Es ist an der Zeit, dass man dieses Land für dieses verübte Unrecht zur Verantwortung zieht. Schluß mit diesem Saubermanndasein der Schweiz.

    Wer den dort lebenden Frauen in einer modernen Zeit erst 1971, so ich glaube als letztes europäisches Land, das Stimmrecht eingesteht, ist ein sehr rückschrittlicher Staat, mit Zügen die klar und deutlich darauf hindeuten, das es dem weiblichen Geschlecht (Einführung Stimmrecht erst 1990 in allen Kantonen !!!) nicht vergönnt war auch nur im geringsten eine eigene Meinung zu äußern. Es könnte schon langsam von diktatorischen Ansätzen gesprochen werden.