Missglückte Work-Life-Balance einer Königin

Das Globe Theater in Charlottenburg führt unter dem dämmernden Himmel Berlins Schillers Königinnendrama „Maria Stuart“ auf

Von Tom Mustroph

In den Zeiten, in denen mit Fast Forward und Rewind viele Kulturformate überschrieben sind, kann es passieren, dass auch im Theater mal dort begonnen wird, wo man das Ende erwartet. In der Bearbeitung von Schillers Dramas um Schottlands Affärenkönigin „Maria Stuart“ des Berliner Globe Theater macht Maria-Darstellerin Wiebke Acton sich bereits während des Einlasses auf einem zentral im Zuschauerrund platzierten Podest zu schaffen. Das Podest ist unzweifelhaft als Richtblock zu identifizieren.

Sie liegt dort, sitzt, macht ein paar Körperübungen, schreibt Notizen in ein Heft. Der Richtblock mutiert zur Zelle, in der sie weite Teile des Stücks verbringen wird – getreu dem Schicksal der historischen Figur in deren letzten Lebensjahren.

Das Publikum schaut ihr von allen Seiten aus zu. Acton, bereits erfahren durch Freiluftevents der Compagnie Das letzte Kleinod, spielt auch schön in alle Richtungen. Generell überzeugt die räumliche Anordnung. Denn Hinrichtungsplätze im Mittelalter waren nach mehreren, wenn nicht sogar allen Seiten offen. Das Volk strömte herbei, nahm oft genug Wegzehrung mit. Und auch im Globe kann man sich kulinarisch verköstigen.

Im Verlaufe des Stücks, mit dem Erscheinen der Gegenspielerin Elisabeth, verwandelten sich Richtplatz und Zelle ins Zentrum der englischen Königsmacht – Thron und Thronsaal von Elisabeth I. Das Publikum, das rings um den Thron versammelt war, konnte sich selbst als die Edlen des Hofes, Lords, Ladys und Earls, imaginieren. Es war so nah dran an den Intrigen und Ränkespielen der Blaublüter wie sonst nur bei Royal TV.

Zweiter Spielort war eine Kreisbahn, die von außen das Publikumsrund begrenzte. Dort platzierte Regisseurin Carola Söllner vor allem die Flucht- und Außenszenen. Der Himmel über Berlin sowie die Dächer der umliegenden Häuser wurden so zur Kulisse des Stücks – durchaus ein visuelles Erlebnis.

Das vierköpfige Ensemble – neben Acton noch Saskia von Winterfeld als Elisabeth, Anselm Lipgens als Chefintrigant Leicester und Benjamin Krüger als in Liebe entbrannter Kerkermeister Marias – stellte die mitunter ausufernden Sprachflächen aus der Feder Schillers auch beherzt in den Raum. Man lauschte manch gedrechselter Wendung, erfreute sich des sprachlichen Reichtums – und entdeckte sogar ein paar zeitgenössische Themen.

Elisabeth etwa beklagte ihre missglückte Work-Life-Balance: Zu viel Energie in den aufreibenden Königinnenjob gesteckt, zu wenig den eigenen libidinösen Begierden gefolgt. Maria, die vielfach Liebende, hätte es da besser gemacht, lässt Schiller die mittelalterliche Karrierefrau seufzen. Allerdings, historisch Gebildeten ist dies nicht neu, kippte die Schaukel auch bei Maria. Wegen zu viel royalem Sex – und nachfolgender blutiger Beseitigung des Ex-Lovers – aus dem Lande gejagt, zieht sie als Flüchtling umher, kommt mit den Gesetzen der neuen Heimat in Konflikt und wird nicht abgeschoben, sondern gehenkt.

Der Anflug eines Migrationsdiskurses kommt also durch Maria ins Spiel. Elisabeth wiederum rüttelt am Geschlechterschema. Sie regiert wie ein Kerl, dann will die öffentliche Meinung aber doch wieder, dass sie Frau wird, sich verheiratet, einem Gatten unterordnet und Kinder gebiert. Das will sie nicht, sucht ihren eigenen präqueeren Weg aus dem Dilemma. Als Resultat entstand ein Kolonialreich.

Regisseurin Söllner setzt sich auf diese heutigen Diskurse dankenswerterweise nicht drauf. Sie tippt sie an, lässt sie in den Raum fließen, bleibt ansonsten aber nah dran an Schillers Historiengemälde. Das reduziert sie klug. Die Kostüme (Gabriele Kortmann) oszillieren gut zwischen naturalistisch und abstrakt. Und die hereinbrechende Nacht sorgt für einen ganz eigenen Zauber.

Weitere Spieltermine: 14. + 15. August, 8., 9., 10., 16., 17. September.