Missbrauchsverdacht auf Ameland: Kinder, Kinder
Die Übergriffe im Ferienlager auf Ameland zeigen erneut, wo es hierzulande hapert: Über Bildung und Betreuung wird geredet – nur kosten darf es nichts.
Ameland, das klingt nach Pippi Langstrumpf und "Ferien auf Saltkrokan". In Wahrheit aber handelt es sich bei Ameland nicht einfach nur um eine "friedliche Nordseeinsel" (Bild) in den Niederlanden - sondern um einen Ort, an dem zum derzeitigen Ermittlungsstand drei Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren sechs Opfer im Alter von 13 bis 14 Jahren bei einer Ferienfreizeit des Stadtsportbundes Osnabrück gedemütigt, schwer verletzt und vergewaltigt haben.
Nun wird sexuelle Gewalt gegen Kinder fast immer an Orten ausgeübt, die als besonders friedlich gelten, ja, die ihre Eltern oft gerade wegen ihres der kindlichen Seele besonders förderlichen Images ausgewählt haben. Wir erinnern uns an die Eliteschule im Odenwald, dessen Chefvergewaltiger noch in seiner Todesanzeige die Opfer verhöhnte; wir denken an Ettal, an das Canisius-Kolleg - an all die hochgebildeten Erwachsenen eben, die nicht hätten tun dürfen, was sie getan haben. An all die Pädagogen, die glaubten, ihren Schützlingen etwas beibringen zu können, aber nicht mal ihre Unversehrtheit garantierten.
Und da haben wir noch nicht von den Familien gesprochen, dem Ort, an dem Kinder sich erst mal geborgen fühlen sollten - es aber mitnichten sind. Insofern ist es schon brachial doof, wenn die bayerische Justizministerin Beate Merk nun als Reaktion auf die Vorfälle auf Ameland die Porno-Internet-Keule rausholt und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gefährliche Untätigkeit auf diesem Verbotsfeld vorwirft, also quasi eine Mitschuld an den Untaten.
Gewalt und pubertär sexualisierte Unterwerfungsrituale unter Jugendlichen sind aber so schrecklich wie alltäglich, es gab sie schon lange, bevor das böse Internet die Seelen verseuchte. Das kann Merk etwa in Robert Musils "Törleß" nachlesen - auch da gab es schon mit 40 Kindern überbelegte Schlafsäle wie auf Ameland. Interessanter, aber für Merk unbequemer ist, dass laut Familienministerium für die Ausbildung zum Jugendbetreuer keine gesetzlichen Regeln bestehen: dies nach der Missbrauchsdiskussion der letzten Monate.
Stellt man dazu noch die Tatsache, dass das Feriencamp für 8- bis 14-Jährige ausgeschrieben war, die Täter aber alle schon 15 waren, dann rundet sich das Bild ab. Es ist eines, das man aus der Diskussion über Kita- und Studienplätze kennt.
In Deutschland wird viel über Bildungs- und Betreuungsrevolutionen geredet. Nur kosten dürfen sie nichts. Kinder- und Jugendarbeit ist am besten Ehrenamt oder schlecht bezahlter Ferienjob. Und wer es sich leisten kann, lässt die Angebote von Kirchen, Kommunen und Vereinen liegen und bucht bei Profis.
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