Missbrauch in katholischer Kirche: Anzeige soll zur Regel werden
Die Katholische Bischofskonferenz stellt neue Richtlinien vor. Künftig soll nur das Opfer eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft verhindern können.
TRIER taz | Bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch will die katholische Kirche künftig enger als bisher mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten. Dies ist die wesentliche Änderung der neu gefassten "Leitlinie" der Katholischen Bischofskonferenz, die der Trierer Bischof Stephan Ackermann am Dienstag vorstellte. "Die bisherigen Leitlinien von 2002 waren nicht präzise genug", sagte Ackermann, der auch Missbrauchsbeauftragter der Kirche ist.
Bisher bestand der Verdacht, dass die Kirche strafrechtliche Untersuchungen nach Kräften vermeide, um den Ruf der Kirche zu schützen.
So hieß es in den Leitlinien von 2002, dass bei Bekanntwerden von Missbrauch durch Kleriker, Ordensangehörige oder andere Mitarbeiter zunächst eine "kirchliche Voruntersuchung" stattfinden solle. Nur "in erwiesenen Fällen" und "je nach Sachlage" sollten die Fälle der Staatsanwaltschaft gemeldet werden.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte im Februar, die Kirche solle alle Missbrauchsfälle der Staatsanwaltschaft anzeigen. Tatsächlich gibt es in Deutschland aber keine Anzeigepflicht für bereits begangene Straftaten.
Mitarbeiter von Beratungsstellen warnten sogar ausdrücklich vor einem Automatismus. Opfer könnten sich nicht mehr offenbaren, wenn ihre Vertraulichkeit nicht gewahrt werde.
Jetzt hat die katholische Kirche einen Kompromiss versucht: "Die Staatsanwaltschaft soll generell informiert werden - es sei denn, das mutmaßliche Opfer widerspricht ausdrücklich", sagte Bischof Ackermann. Bei Kindern entscheiden die Eltern.
Der Wunsch nach Vertraulichkeit soll ausdrücklich dokumentiert werden. Eine Information der Staatsanwaltschaft soll aber dann gegen den Willen eines Opfer möglich sein, wenn es Hinweise auf weitere Betroffene gibt. Allerdings soll nicht unterstellt werden, dass jeder Beschuldigte ein Serientäter sein könnte.
Im Frühjahr sagte der renommierte Psychiater Norbert Leygraf, dass zwei Drittel der Opfer keine Einschaltung der Strafverfolgung wünschten. Leygraf ist für die Kirche als Gutachter tätig.
Die katholischen Leitlinien gelten ab 1. September bundesweit, auch in Bayern. Die dortigen Bischöfe hatten zuletzt eine Anzeigepflicht für Missbrauchsfälle beschlossen, die nun wieder vom Tisch ist.
Wie bisher sollen Missbrauchstäter nicht mehr in Bereichen eingesetzt werden, wo sie Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben. "Hier waren die Richtlinien von 2002 erfolgreich", sagte Ackermann, "weil sich die bekannt gewordenen Fälle fast alle auf die Zeit davor beziehen."
Wie viele Fälle sexuellen Missbrauchs es insgesamt in der Kirche gegeben hat, konnte und wollte Ackermann nicht sagen. Man habe eine wissenschaftliche Aufarbeitung in Auftrag gegeben, die "nicht in einem halben Jahr" abgeschlossen sein werde.
Auch bei der Frage nach Entschädigungen für Missbrauchsopfer verwies Ackermann in die Zukunft. Kirche und Ordensgemeinschaften würden am runden Tisch, den die Bundesregierung eingerichtet hat, einen Vorschlag unterbreiten. Noch arbeite man aber noch an einer gemeinsamen Haltung der kirchlichen Institutionen.
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