Missbrauch in der katholischen Kirche: Neue Vorwürfe gegen den Papst
Papst Benedikt soll in den 80er Jahren die Amtsenthebung eines pädophilen Priesters erheblich verzögert haben, der sechs Kinder missbrauchte. Der Vatikan verteidigt das Verhalten Ratzingers.
LOS ANGELS afp | Im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche sind am Wochenende weitere Vorwürfe gegen Papst Benedikt XVI. erhoben worden. Ein US-Opferanwalt präsentierte in Los Angeles einen Schriftwechsel, wonach der heutige Papst als Präfekt der Glaubenskongregation in den 80er Jahren die Amtsenthebung eines pädophilen Priesters erheblich hinausgezögert hat. Der Vatikan verteidigte das Verhalten des damaligen Kardinals Ratzinger.
Der US-Anwalt Jeff Anderson veröffentlichte am Freitag in Los Angeles eine Serie von Schreiben zu dem Fall des Priesters Stephen Kiesle, der Ende der 70er Jahre im Bundesstaat Kalifornien sechs Kinder zwischen elf und 13 Jahren missbraucht hatte. Der Bischof von Oakland, John Cummins, ersuchte den Vatikan den Dokumenten zufolge im Juni 1981 erstmals, den Geistlichen aus dem Kirchendienst zu entlassen.
Wie aus dem Schriftwechsel hervorgeht, wurde der Fall über Jahre hinweg im Vatikan nicht abschließend bearbeitet. Am 15. November 1985 schrieb Joseph Ratzinger, der heutige Papst, in einem lateinisch verfassten Brief, der Fall Kiesle sei "gravierend", jedoch müsse in Rechnung gestellt werden, welche Auswirkungen eine Entlassung auf das "Wohl der universellen Kirche" hätte. Der Fall müsse "sorgfältig" untersucht werden, wofür ein "längerer Zeitraum als üblich" erforderlich sei.
Zwei Jahre später wurde Kiesle schließlich aus dem Kirchendienst entlassen. Die Briefe seien Beweis für eine "Vertuschung" durch Ratzinger, sagte der US-Anwalt Anderson, der zwei von Kiesles Opfern in einer Zivilklage gegen das Bistum Oakland vertreten hatte.
Ein US-Anwalt des Vatikans, Jeffrey Lena, wies die Vorwürfe am Samstag als "vorschnelle Urteile" zurück. Zum einen habe der betreffende Priester nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle unter Beobachtung gestanden und danach keinen weiteren Missbrauch begangen. Zum anderen sei die von Joseph Ratzinger geleitete Glaubenskongregation damals nicht für solche Fälle zuständig gewesen - diese hätten in der Verantwortung der örtlichen Bischöfe gelegen.
Erst im Jahr 2001 habe Papst Johannes Paul II. mit einem Dekret zu "schwerwiegenden Vergehen", das von Ratzinger selbst ausgearbeitet wurde, angeordnet, dass die Glaubenskongregation für Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern durch Geistliche zuständig sein solle. Ratzinger war seit 1981 Vorsitzender der Glaubenskongregation. 2005 wurde er zum Nachfolger von Papst Johannes Paul II. gewählt.
Die katholische Kirche wird derzeit von einer Welle von Enthüllungen über Missbrauchsfälle in Ländern auf der ganzen Welt erschüttert. Der Vatikan wird mit Vorwürfen konfrontiert, Fälle sexuellen Missbrauchs vertuscht zu haben. Dabei wird auch die Vergangenheit des seit fünf Jahren amtierenden Papstes Benedikt XVI. immer wieder hinterfragt.
Kiesle erhielt für die Missbrauchsfälle aus den 70er Jahren eine dreijährige Bewährungsstrafe. Trotz der Verurteilung wurde er nach seiner Entlassung aus dem Priesterstand noch einmal für acht Monate in der Jugendarbeit einer Gemeinde im nordkalifornischen Pinole eingesetzt. Kiesle verging sich erneut an Minderjährigen: 2004 wurde er wegen des Missbrauchs eines Mädchens zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
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