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Missbrauch an OdenwaldschuleVorstand tritt zurück

Opfer hatten eine Veränderung an der Leitungsspitze gefordert. Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an der Reformschule scheint noch nicht vollständig klar zu sein.

In der Odenwaldschule müssen wohl noch viele Abende mit der Erfassung des ganzen Ausmaßes von sexuellem Missbrauch verbracht werden. Bild: dpa

FRANKFURT tazSo kann man die Sache auch sehen: "An welchem Ort wären unsere Kinder derzeit besser vor sexuellem Missbrauch bewahrt als zum Beispiel in der Odenwaldschule, wo inzwischen intensiv an der Aufklärung und an der Bewusstmachung dieser Verbrechen gearbeitet wird." Das schrieb der Vater einer "von den Erkenntnissen geschockten" Schülerin der Schulleitung vor wenigen Tagen ins Stammbuch.

Aktuell reagiert das Leitungsteam der renommierten Reformschule jetzt mit der Ankündigung seines fast vollständigen Rücktritts am kommenden Sonnabend auf die latent gewordene Notsituation. Von dem aus sieben Personen bestehenden Vorstand bleiben nur noch die erst vor drei Jahren bestellte Rektorin Margarita Kaufmann und der langjährige Geschäftsführer Meto Salijevic im Amt, verkündete die Vorsitzende des Trägervereins der Odenwaldschule, Sabine Richter-Ellermann. Der Vorstand erfülle damit Forderungen von Opfern nach einer "Veränderung an der Spitze", so Richter-Ellermann. "Wir denken, das ist das Beste für die Schule."

Sie begründet den kollektiven Rücktritt damit, dass der Druck auf die Schule zu groß geworden und ihre "Handlungsfähigkeit" deshalb gefährdet gewesen sei. Dass die schon vor drei Wochen avisierte Demission des Vorstands erst jetzt und nur teilweise erfolgt, gibt allerdings den schon länger kursierenden Spekulationen über das angeblich noch gar nicht vollständig bekannte Ausmaß des sexuellen Missbrauchs neue Nahrung.

Es sei "naiv" zu glauben, dass es nach dem Abgang des früheren Schulleiters (1972 bis 1985) und mutmaßlichen Haupttäters Gerold Becker nur noch bis 1991 zu weiteren sexuellen Übergriffen durch andere Lehrkräfte gekommen sein soll, sagte etwa ein ehemaliger Odenwaldschüler, der anonym bleiben will. So war Becker, der in der vergangenen Woche in einem Brief an die heutige Rektorin "Annäherungen und Handlungen" an Schülerinnen und Schülern eingeräumt hatte, offenbar noch einmal als Lehrer an die Schule zurückgekehrt. Von Weihnachten 1997 bis Ostern 1998 habe er dort Evangelische Religion unterrichtet.

Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet hatte, soll sich ein Junge aus Beckers Klasse danach das Leben genommen haben. Der Vater des Schülers gehe jetzt von Selbsttötung nach Missbrauch aus. Beweisen allerdings lasse sich das alles wohl nicht mehr.

Becker durfte selbst noch nach 1999, als seine sexuellen Gewalttaten an der Odenwaldschule zum ersten Mal öffentlich wurden, an einer anderen Reformschule unterrichten. Von seinen Verfehlungen habe man damals nichts gewusst.

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5 Kommentare

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  • T
    Tru

    eine gute JournalistIn sollte, mal einen anderen Standpunkt einnehmen. Fast alles wird doch aus den Medien wiedergekaut. Gerade bei der OSO lassen, Blickwinkel zu die sich von details bis heimlichen bis romantischen ..Allererlei Blickwinkel gibt es.

     

    Einfach nur wiederzukauen was dpa und co oder Frankfurter Rundschau und Co schreiben... Ist aetzend das zu lesen...

     

    Was ist das System dahinter... Die Odenwaldschule ist ein Dorfteil ein Teil OberHambachs. Alles soll an der OSO liegen. In Heppenheim gibt es immerwieder NAZI aufmaersche. Es ist schde das viele details und Fragen ohne antwort bleiben wiel die Jouranlistinnen lieber Cafe im TAZ cafe trinken.

     

    Zu fair um Fairness zu bringen. Das vermissen von Journalisten aus der Zeit der 90er 19.jahrhundert oder anfang letzets jahrhundert.. Wie heisst noch mal der ..von maeusen und menschen schrieb...

     

    Es braucht lebendigere Sicht auf ein so totdargestelltes Thema.

     

    Diese Art Aufarbeitung ist sehr lähmend. Und zu nach vorn. Es gibt viele andere möglichkeiten.

  • G
    gggg

    Viele wollten die OSO veraendern. Nur alte Ineligenzleicht und Literatten, krampfen an ihren Sitzen. Auch nur so ein Zirkel...von Leuten.

     

    Die oso ist zwar was besonderes. Doch ein neuanfang wuerde vieles verändern und auch andere misstaende und dorfschandtaten endlich wegraeumen.

     

    Auch hier sollte antifaschistisches Motto gelten..keine schweigenden Provinzen...

  • M
    Mike

    Das ganze entwickelt sich doch immer mehr und mehr zu einem Witz.

    Die Minister wollen nicht das die Verjährungsfristen verlängert werden und watschen dies damit ab das pauschal nach 30-40 Jahren nichts mehr nachzuweisen sei.

    Ich kann dies nur so deuten das man nicht will das auch nur der Versuch des Nachweises unternommen wird, ansonsten könnten doch die Gerichte klären ob das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt wird oder nicht. Man braucht keine Minister welche die Unnachweissbarkeit zu einer allumfassenden Wahrheit erklären die über jeden Zweifel erhaben ist.

     

    Die Staatsanwaltschaft hätte im Fall der OSO andere Möglichkeiten herauszufinden wer den zb. genau die Gäste waren die sich zum Missbrauch an der OSO aufhielten ...... woher kannten Becker und Konsorten diese ...... waren es ggf. auch Pädagogen und wenn ja was geschah an den Instituten wo diese tätig waren .... gab es dort vielleicht auch Missbrauch durch 'Gäste ' ?

     

    Die Tatsache das dort Personen von extern zum Missbrauch eingeladen wurden , und die Deckung welche diese Handlungen durch die Leitung , den Trägerverein sowie auch die Staatsanwaltschaft erfuhr legt den Verdacht nahe das es sich bei der OSO nicht um ein geschlossenes System handelt , sondern um ein pädophiles Netzwerk das keinesfalls nur auf die OSO beschränkt war.

     

    Solche Ermittlungen werden wir jedoch nicht sehen weil die Politik die Staatsanwaltschaft nicht hinzuziehen möchte. Alles soll auch schön verjährt bleiben.

  • RB
    Ralf B.

    Ich bin der evangelischen Kirche gegenüber genauso kritisch eingestellt wie der katholischen. Deshalb möchte ich zur ausgleichenden Gerechtigkeit hier noch einmal ergänzen, was in den Berichten zur Odenwaldschule bisher nicht erwähnt worden ist:

    Gerold Becker ist ein bekannter evangelischer Theologe, der vor seinem Wirken an der Odenwaldschule nach eigenen Angaben zunächst "mehrere Jahre im kirchlichen Dienst tätig" war. So schrieb er bereits 1963 für die Kirchenzeitschrift Amt und Gemeinde den Aufsatz „Gottesdienst und liturgische Erneuerung“ (Nr. 5/1963).

    Nach seiner Tätigkeit an der OSO konnte Gerold Becker weiter Karriere machen, obwohl er bereits 1998 und 1999 des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde. Ein Grund dafür war, dass er zwischenzeitlich zu einem der höchsten Repräsentanten der Evangelischen Kirche in Deutschland in Sachen Erziehung aufgestiegen war. Die EKD ließ ihn auch noch gewähren, obwohl ein erstes Opfer bereits auspackte. Die Frankfurter Rundschau schreibt: "Mit der Aufklärung war es überhaupt so eine Sache. Denn Becker hatte es seit seinem Abschied von der OSO 1985 zu allerlei prestigeträchtigen Posten gebracht: Er war Vorstandschef der Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime, leitender Mitarbeiter am Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung des Hessischen Kultusministeriums, vertrat als Theologe bei schulischen Fachgesprächen mit dem Land die evangelische Kirche (EKD). Noch 1998, als eins seiner Opfer ihn erfolglos konfrontiert und bereits die OSO um Hilfe gebeten hatte, trat Becker als Mitglied der EKD-Kammer für Bildung und Erziehung auf. Diejenigen, die von den Vorwürfen wussten, schwiegen derweil.

     

    Quellen und weitere Informationen:

    http://www.theologe.de/sexuelle_vergehen.htm#Evangelischer_Direktor

    http://www.theologe.de/schwarzbuch_evangelische-kirche.htm#EKD_griff_nicht_ein

  • F
    felsbrandung

    Die letzten beiden Sätze sind missverständlich.