Miserable Integration: Immer mehr Behinderte auf Hartz IV
Die Behindertenbeauftragte sieht ein "Alarmzeichen" durch die hohe Arbeitslosigkeit. Arbeitsminister Scholz freut sich dagegen über Verbesserungen.
BERLIN taz Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hat den Behindertenbericht für die letzten vier Jahre vorgelegt - und damit eine Kontroverse über die gesellschaftliche Position behinderter Menschen in Deutschland entfacht. Scholz lobte, "die Politik der Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren viel bewirkt". Dagegen kritisierte die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, viele Regelungen seien noch nicht im Alltag angekommen.
Der "Bericht zur Lage von Menschen mit Behinderungen und die Entwicklung ihrer Teilhabe" begutachtet die Gleichberechtigung behinderter Menschen in verschiedenen Lebensbereichen. Experten haben in den letzten Jahren immer wieder angemahnt, dass Menschen mit Behinderungen härter von Arbeitslosigkeit getroffen werden und nur schlecht in das Bildungssystem integriert seien.
Für den Arbeitsmarkt zeigt der Bericht, dass sich diese Tendenz auch in den letzten Jahren verstärkt hat. Zwar ist die Arbeitslosigkeit unter Behinderten zwischen 2005 und 2008 um 14 Prozent gesunken, einen "bedeutenden Beitrag" hierzu hätten die Initiativen "Jobs ohne Barrieren" und "Job4000" geleistet, sagte Olaf Scholz. Jedoch ist die Anzahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) in der selben Periode um drei Prozent gestiegen.
"Gegen den Trend", wie auch das Arbeitsministerium im Bericht zugibt. Denn in der betrachteten Periode nahm die Arbeitslosigkeit in Deutschland im Millionenbereich ab. Die Folgen der Wirtschaftskrise auf die Arbeitslosigkeit wird in dem Bericht noch nicht widergespiegelt - ein starker Anstieg ist jedoch wahrscheinlich.
Die Behinderten-Beauftragte der Bundesregierung, Scholz Parteikollegin Karin Evers-Meyer, kritisierte daher auch die Ergebnisse der Integrationsbemühungen scharf: "Es ist ein Alarmzeichen, dass die Zahl der behinderten Menschen im ALG II gestiegen ist, während die Wirtschaft im Land boomte."
Die Politikerin bemängelte auch die Leistungen bei der Vermittlung behinderter Menschen in neue Jobs. Sie sagte, die Anstrengungen konzentrierten sich "hauptsächlich auf die vermeintlich Stärkeren". Evers-Meyer: "Die Vermittlungsagenturen müssen sich genauso stark für die Schwächeren auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft ins Zeug legen." Zudem forderte sie die Arbeitgeber auf, umzudenken und in ihren Betrieben mehr Behinderte einzustellen.
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, sieht ebenfalls Nachholbedarf bei der Vermittlung. Es bestehe dringender Bedarf, die bestehenden Regelungen zu Wiedereingliederung ins Arbeitsleben besser umzusetzen, forderte Mascher. "Die Politik muss Druck machen."
Ein weiteres Problem sei ihrer Meinung nach die Integration in das Bildungssystem. Nur rund 15 Prozent der Behinderten besuchen eine Regelschule, mehr als drei Viertel verlassen eine Förderschule, ohne wenigstens den Hauptschulabschluss erreicht zu haben. "Behinderte Kinder haben in Deutschland keine gleichwertigen Bildungschancen", sagte Mascher.
Die VdK-Präsidentin lobte einige Gesetzesinitiativen der Regierung. Insbesondere die Schaffung von Servicestellen sei ein sinnvoller Schritt. "Nun ist es wichtig, dass die Trägerorganisationen die Vorgaben umsetzen", sagte Mascher.
Auch wenn dies geschieht, bleibt die Integration von Behinderten vor allem ein gesellschaftliches Problem. Ulrike Mascher: "Deren Leistungsfähigkeit hat sich in Deutschland offenbar immer noch nicht herumgesprochen."
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