Miriam Meckel als Chefredakteurin: Newsroom statt Hörsaal

Beim „Sesseltausch“ wechselten Medienprofessorin und „Tagesanzeiger“-Chefredakteur die Plätze. Nach einer Woche wollen beide wieder zurück.

Im gewohnten Sessel ist es am schönsten. Bild: dpa

GENF taz | Gegenüber der taz zeigte sich Res Strehle „am meisten überrascht, dass die Studierenden über dieselben Autoren diskutieren wie wir damals: Foucault, Baudrillard, Günther Anders“. Die ganze letzte Woche verbrachte der Chefredakteur des Zürcher Tagesanzeigers (Tagi) als Gastdozent am Institut für Kommunikationsmanagement der Universität Sankt Gallen, an der er vor 30 Jahren studierte.

Im „Sesseltausch“ mit Strehle übernahm die Leiterin des Instituts, Miriam Meckel, eine Woche lang in Zürich die Chefredaktion der auflagenstärksten deutsch-Schweizer Qualitätszeitung. Am „meisten gefallen“ haben Gastdozent Strehle „engagierte Studenten mit ausgefallenen Ideen und überraschenden Gedankengängen; am wenigsten: die Kantine“.

Strehle dozierte über das – beim Tagi derzeit mit großer Energie betriebene – Zusammenwachsen von Print und Online. In einem Seminar zum Thema „Mensch und Maschine“ führte er mit seinen StudentInnen „Theoriedebatten, die im journalistischen Alltag wenig Platz haben“.

Unter anderem über die „eher düstere Zukunftsthese von Miriam Meckel, wonach sich die menschliche Individualität und Spontaneität in den neuen Medien langsam auflösen“. Die Studenten zeigten sich durchweg angetan von ihrem Gastdozenten, manche wünschten sich allerdings bei Strehles Vorlesungen „etwas mehr Interaktivität“.

Sehr viele, sehr kurze Updates

Davon erlebte Meckel in der Tagi-Redaktion fast schon zu viel. Sie war „überrascht, wie viele Konferenzen es hier gibt. Nicht sehr lange Konferenzen, aber sehr viele, sehr kurze Updates.“ Besonders intensiv war die Interaktivität, als bereits am frühen Abend von Meckels zweitem Arbeitstag der Zentralrechner des Tamedia-Verlages, in dem neben dem Tagi noch weitere Zeitungen erscheinen, für über acht Stunden ausfiel.

Der technische Super-GAU erwies sich als kommunikative Bewährungsprobe. Die meisten LeserInnen des Tagi erhielten am Mittwoch zwar nur eine verdünnte Notausgabe, bei vielen Abonnenten kam die Zeitung überhaupt nicht an. Aber wer wollte, konnte sich auf Meckels Blog, auf Tagi-Online, Facebook oder über Twitter ständig informieren lassen über die Krise in der Redaktion.

„Genossen“ hat Meckel in ihren sieben Tagen beim Tagi, dass „abends irgendwann alles erledigt war“. Andererseits arbeitet die Professorin „sehr gerne langfristig und tiefgreifend“. Einige ihrer Projekte liegen bis zur Realisierung drei oder vier Jahre auf dem Schreibtisch. Und sie denkt „gerne lange über ein Thema nach, was im Druck der Tagesaktualität dann gar nicht so einfach ist“. Den Artikel für die von ihr konzipierte Samstagsausgabe schrieb Meckel am Freitagmorgen um 6 Uhr.

Online-Leiter Sam Reber sieht Meckel nach diesem Gastauftritt sogar als „eine Topkandidatin, wenn bei uns der Chefredakteursposten frei wird“. Dazu wird es jedoch kaum kommen. Denn Meckel lehrt und forscht „wirklich gerne“. Sie sieht daher „no need for a change“. Ihrem Sesseltausch-Partner Strehle geht es ähnlich. Zwar hätte er sich „nach Studium und Dissertation eine Tätigkeit in Lehre und Forschung vorstellen können, aber inzwischen bin ich zu alt und zu sehr fasziniert von der publizistischen Auseinandersetzung mit der Aktualität“.

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