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„Mir liegt das schwer im Magen“

■ Junkieszene besetzt das Viertel / Alternativobjekt für Drobs geplatzt / Anwohner wollen klagen

Alle Jahre wieder: Der Sommer ist da und mit ihm die offene Drogenszene im Ostertor und Steintor. Seitdem die Temperaturen zum Draußenseien einladen, besetzt die Junkieszene die Bürgersteige rund um die Sielwallkreuzung. Die ersten Protestversammlungen haben schon stattgefunden, in der vergangenen Woche hat sich der Beirat Östliche Vorstadt mehrere Stunden mit dem Sommerboom am Gifteck befaßt, wie in den vergangenen Jahren sind wieder Kaufleute auf den Barrikaden. „Die stehen hier mit einer Masse von Leuten vor der Ladentür, daß sich niemand mehr reintraut“, erzählt eine Mitarbeiterin. „Die Leute weichen lieber auf die Straße aus, hier kommt ja auch kaum noch jemand durch.“

Diesmal hat es die LadenbesitzerInnen an der Straßenbahnhaltestelle vor dem Steintor erwischt. Dahin ist die Szene umgezogen, als eine Baustelle den angestammten Platz vor dem „Cinema“ noch ungemütlicher gemacht hatte, als er ohnehin schon war. Der Effekt: Die Umsätze der Läden gingen drastisch zurück und der Gewerbehof am Fehrfeld entwickelte sich zu einer Mischung von öffentlichem Pissoir, Druckraum und Dealertreff.

Nichts verändert hat sich demgegenüber in der Bauernstraße. Obwohl schon im vergangenen Jahr aus dem Haus der Sozialsenatorin das Versprechen abgegeben worden war, die Behörde werde sich zügig um einen Alternativstandort für die Drogenberatungsstelle bemühen – bis heute ist kein Umzug in Sicht. Ein angepeiltes Objekt in der Großen Weidestraße ist der Behörde durch die Lappen gegangen. Im Viertel wird die Geschichte erzählt, das Liegenschaftsamt habe den Vorgang schleifen lassen, bis der Hausbesitzer anderweitig vermietet hätte. Das weist Marlis Grotheer-Hünecke, Sprecherin des Finanzsenators, zurück: „Ein konkretes Objekt hat es nicht gegeben“, also auch keine Schlamperei des Liegenschaftsamtes. Auf ein anderes Senatsressort schimpfen will auch Sozialstaatsrat Hans-Christoph Hoppensack nicht. Die Behörden hätten insgesamt zu langsam reagiert. Hoppensack: „Mir liegt das schwer im Magen. Notfalls schließe ich beim nächstenmal den Vertrag persönlich ab.“

Die Anwohner der Bauernstraße stehen schon wieder in Wartestellung: Wenn es bis zum Sommer nicht sicher ist, daß die Drobs umzieht, dann will die Anwohnerinitiative ihre Klage auf Schließung der Drobs noch einmal forcieren.

Ob der Umzug der Drobs auch die offene Szene an der Kreuzung auflöst, das, so Hoppensack, sei doch eher unwahrscheinlich. So werden die Kaufleute wohl oder übel weiter mit der ungeliebten Kundschaft leben müssen. Eine leichte Entspannung hat es aber auch schon bei den Ladenbeitzern gegeben. Der Einsatz von Kontaktbereichsbeamten am Ostertorsteinweg hat die Szene zwar nicht vertrieben, aber ein wenig zivilisiert, berichtet Carsten Frenz vom Optikerladen an der Bauernstraße. Die Junkies würden sich weitasu verträglicher verhalten, seit die Polizei präsent sei. Doch was im Ostertor Praxis ist, das fehlt jenseits des Dobben. Für das Ostertor ist das sechste Revier zuständig, für das Steintor das dritte. Und dem fehlen die Leute für eine massive Polizeistreife. Seit die Szene umgezogen ist, berichten die Kaufleute, wird sie weit weniger belästigt. J.G.

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