: „Mir ist es zu harmonisch“
Zum Zweitliga-Rückrundenstart will Trainer Willi Entenmann das bayerische Überlebensmodell des Vorortklubs SpVgg Unterhaching globalisieren. Die Frage ist: Wozu? ■ Von Rainer Schäfer
Achtzehn Bahnminuten vom Münchener Marienplatz entfernt hat ein kleines Wunder Gestalt angenommen: Im Unterhachinger Sportpark trotzt ein Vorstadtklub einigen Gesetzmäßigkeiten im Geldfußball. Mit dem kleinsten Etat der Liga – rund 6,5 Millionen Mark – hält sich die Spielvereinigung Unterhaching beständig unter den Top 10 der Zweitligaklubs. Während Konkurrenten wie der 1. FC Nürnberg im Sog der Spielklassen mal nach unten, mal nach oben gespült werden, verharren die Unterhachinger ungerührt auf der Stelle.
Ein Wallfahrtsort, ein Altötting für Fußballgläubige wird aus Unterhaching aber nicht werden. Das Wunder findet zuwenig Beachtung, wie Unterhachings Trainer Willi Entenmann (54) feststellen muß. „Unsere Arbeit hätte mehr Aufmerksamkeit verdient“, glaubt der. „Wo“, fragt der ehemalige Bundesligaprofi des VfB Stuttgart, „kommt der Co-Trainer halbtags und der Physiotherapeut stundenweise?“
Antwort: Nirgendwo sonst in der Liga. Und die Medien? Denen sind die Unterhachinger ohnehin nur Randnotizen wert. Wenn eine Spielerfrau beim FC Bayern München einen verwachsenen Zehennagel hat, ist das schlagzeilenträchtiger als ein gelungener Auftritt des Vorstadtklubs.
In Unterhaching lebt man in erster Linie von Fernsehgeldern. Für die Dauer der Rückrunde wurde zusätzlich als Hauptsponsor eine große bayerische Brauerei gewonnen. Es handelt sich um eine Form von Teilzeitsponsoring, die zum Überleben beiträgt wie auch die Zuwendungen von Schatzmeister Anton Schrobenhauser jr. Dessen verstorbener Vater hatte den Dorfverein in den 80er Jahren mit finanzieller Wucht nach oben geschoben. „Unser Toni“, sagt Pressesprecher Richard Piller, „buttert eine gewisse Summe rein.“
Daß Unterhaching der Pleitekandidat Nummer eins im bezahlten Fußball sei und sich nicht einmal mehr die Busfahrten zu Auswärtsspielen leisten könne, dementiert Piller energisch. „Die Zahlen stimmen nicht. Und unser Doppeldeckerbus fährt.“
Daß die Spielvereinigung überhaupt in der zweithöchsten Spielklasse mittun kann, gilt als Verdienst von Fußballehrer Lorenz- Günter Köstner, der nach wenigen Spieltagen der laufenden Saison beim 1. FC Köln anheuerte. Als Köstner Unterhaching 1994 in der Regionalliga übernahm, standen in einem zerstrittenen Team einige gutdotierte Altstars, die ihre Laufbahn ausklingen lassen wollten. Köstner baute die Spielvereinigung um und überwiegend auf Spieler aus der Region: Nachwuchsspieler aus dem Umland und Bankdrücker des FC Bayern und des TSV 1860 München. Fortan wurde in Unterhaching wieder Bayerisch gesprochen und „im Mannschaftsbus Schafkopfen gespielt“, wie Pressesprecher Piller beobachtete.
Köstners Fußballentwurf war wenig spektakulär. Aber einer, der den bescheidenen Möglichkeiten im Klub Rechnung trug und darüber hinaus maximal erfolgreich war. Vorne wurden zwar wenig Tore gemacht, aber hinten noch weniger zugelassen. Minimalistisch wurde Punkt für Punkt addiert, stoisch verteidigte Köstner seine Philosophie, daß ein Unentschieden einen Punktgewinn bedeute. Funktionieren konnte Köstners Konzept nur mit dem geeigneten Personal, das, handverlesen, auf Disziplin und auf Teamkompatibilität eingeschworen wurde. Man hat sich sehr liebgewonnen in Unterhaching: Zusammenhalt und Harmonie wurden so groß geschrieben, daß die Spieler mit Familien und dem Trainer gemeinsam ihre Urlaube verbrachten.
Die Mannschaft sei sehr diszipliniert und in der Defensive gefestigt, lobt Entenmann die Arbeit seines Vorgängers. Gleichwohl hat er sich vor dem morgigen Rückrundenstart beim FSC Mainz 05 eine eigene Arithmetik zurechtgelegt: Mit einem Remis verliert man zwei Punkte. „Also müssen wir nach vorne richtig attackieren.“ Die Zaudertaktik, die Unterhaching das zweifelhafte Attribut „Unentschiedenkönige“ einbrachte, mache „keinen Sinn mehr“. Dank oder wegen ihr steht der Klub auch nun wieder unspektakulär auf Rang acht (sieben Remis, fünf Siege, fünf Niederlagen). Nun aber plädiert Entenmann für mehr Risikobereitschaft, nicht nur im Spielsystem.
Die Transferpolitik will der Trainer künftig ein wenig globaler ausrichten: Gerade mal zwei Spieler zählt derzeit das Ausländerkontingent. „Man muß offen sein und über seinen Schatten springen“, sagt Entenmann und will künftig nicht nur auf die bayerische Karte setzen.
Überhaupt müsse ein Denkprozeß einsetzen. Im Sportpark, in dem auch eine Schrebergartenkolonie heimisch geworden ist, geht es selbst dem Mann aus dem schwäbischen Remstalort Affalterbach zu beschaulich zu. „Mir ist es zu harmonisch. Auch innerhalb der Mannschaft. Man muß aufpassen, daß die Ruhe nicht kippt“, sagt Entenmann. Dann, fürchtet der Schwabe, schläft man ein. Also: den Wettbewerb anheizen, „mehr herauskitzeln“. Gemeinsame Urlaubspläne werden im neuen Reizklima wohl nicht mehr geschmiedet. „Wenn wir zusammen wegfahren und alle gucken sich schief an, dann hat es ja auch keinen Wert“, grübelt der Trainer.
Aber wo, fragen sich die Unterhachinger, will Entenmann hin? Die erste Liga ist eine Übergröße, in der man versinken würde. Warum also Hand anlegen an das bayerische Modell, das bislang in der Zweitklassigkeit bestens funktionierte?
Bei Mannschaftskapitän Jörg Bergen löst die Umstrukturierung Zweifel aus: „Wenn die Harmonie weg ist, klappt nichts mehr.“ Rein rechnerisch betrachtet: Bei einer Niederlage verliert man drei Punkte. Bergen weiß, wovon er spricht: Er stieg 1993 mit Unterhaching ab – bevor Köstner kam.
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