Minogues neues Album: Die Probleme von Kylie 3.0
"X" ist das erste Album seit ihrer Genesung. Doch die sich immer wieder neu erfindende Kunstfigur Kylie Minogue scheint dabei nicht so recht zu wissen, wohin.
"X" heißt Kylie Minogues neues Album, und bevor es zu Missverständnissen kommt: Nur weil sie vor zwei Jahren an Brustkrebs erkrankt war, einen langen, erfolgreichen Kampf gegen die Krankheit führte und sich nun auf der Rückseite der CD-Hülle im Negativ abbilden lässt, ist dieser Titel noch lange keine Anspielung auf eine Röntgenuntersuchung. Es ist einfach ihr zehntes Album.
Dass man sich diese Frage aber überhaupt stellt, ist das Problem von "X": Man könnte auch sagen, das Problem von Kylie 3.0. Kylie 1.0 war die "Neighbours"-Darstellerin und Bubblegumpop-Sängerin, die heute längst vergessen wäre, hätte es nicht Kylie 2.0 gegeben. Diese wiederum entstand Mitte der Neunziger, und ihre große Kunst war es, die Masken der Sexualität an jenen utopischen Ort des Begehrens zu tragen, der mit Disco nur unzureichend beschrieben ist. Kylie 2.0 war eine Kunstfigur, die sich für jedes Stück neu erfand, in immer neuen Varianten Glück, Verlangen, Sehnsucht, Spaß, Durcheinander, Unschuld, Schmerz, Schönheit, Dunkelheit, Ordnung und all die anderen Dinge des Sex zu verkörpern wusste. Anders als etwa Madonna war sie dabei reine Inszenierung.
Der ganz reale Körper von Frau Minogue beendete die Epoche Kylie 2.0. Nicht nur weil er krank und wieder gesund wurde. Auch weil dieses detaillierte Wissen um Genesungsfortschritte (in Australien schnellte die Zahl der Frauen, die zu Brustkrebsvorsorgeuntersuchungen gingen, so sehr in die Höhe, dass man mittlerweile vom "Kylie-Effekt" spricht) und das dazugehörige Beziehungsdrama (erst wurde sie von ihrem Freund gepflegt, als er damit fertig war, ließ er sie sitzen) die Kunstfigur zum Menschen machte.
Das Problem von "X" ist, dass Kylie 3.0 kein Mittel findet, diesen neuen Umstand künstlerisch zu verarbeiten. Die Leichtigkeit ist weg - was nun? Ein gangbarer Weg wäre gewesen, diese realen Erfahrungen von Leid und Drama in Musik umzugießen - die künstlerischen Formen dafür stehen bereit, die Neuerfindung von Kylie 3.0 als Diva wäre auch der schwulen Community gut zu vermitteln gewesen, dem Kern ihrer Fanbasis.
Dass sie dies nicht tut, dass sie sich nicht zum Opfer stilisieren möchte, ist ihr natürlich hoch anzurechnen - wenn sie eine überzeugende Idee hätte, wo es denn sonst hingehen soll. Die gibt es aber nicht. Der Euro-Disco-Sound von "X" bemüht sich um eine angekränkelte Leichtigkeit, die wider besseres Wissen so tut, als sei nichts gewesen. Nur in der schönen Single "2 Hearts" weiß das tatsächlich zu überzeugen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland