Ministerpräsidentin in NRW: Die Kraft schwindet
Das Image der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) als „Kümmerin“ ist angeknackst – vor allem seit den Übergriffen am Kölner Bahnhof.
Die Kameraschwenks sind holprig, ab und zu rutscht ein Finger auf die Linse. Die User finden das gut. „Sympathisch“, „glaubwürdig“, „Weiter so“ – Komplimente satt auf YouTube. Einer findet, die Landeschefin lächle wie Malu Dreyer: „Voll süß.“
Der „Vlog“ ist Krafts neue Selbstvermarktungsstrategie in Zeiten schwindenden Zuspruchs. Und eine der wenigen Möglichkeiten, über das politische Alltagsgeschäft der Landeschefin Näheres zu erfahren. Journalisten lässt sie kaum an sich heran. Alle paar Monate lädt sie in den „Kraft-Raum“ – so der vollmundige Name für ein Hintergrundgespräch mit der Presse.
Vergeblich baten die Düsseldorfer Korrespondenten um regelmäßigere Informationen. Sie verwiesen auf Krafts baden-württembergischen Kollegen Winfried Kretschmann: Der tritt einmal pro Woche vor die Presse. Auf Nachfrage der taz teilt der Regierungssprecher nun mit, man werde künftig alle sechs Wochen einladen.
Dabei gilt Kraft eigentlich als bodenständig und bürgernah. In den vergangenen Monaten war davon allerdings wenig zu spüren, sie wirkte müde. In der Woche vor dem Superwahlsonntag litt sie an einer Lungenentzündung, an der sie noch immer laboriert. Die Umfragewerte der rot-grünen Landesregierung dümpeln seit Monaten auf einem Tiefststand.
Nach Köln abgetaucht
Jeder zweite Bürger Nordrhein-Westfalens ist mit ihrer Arbeit unzufrieden, das ergab der vergangene NRW-Trend. Demnach liegt die CDU knapp vor der SPD, die AfD würde drittstärkste Kraft. Für ein rot-grünes Bündnis wird es nach der Landtagswahl im Mai 2017 nicht reichen. Kraft ist noch immer die beliebteste Politikerin im Land, aber ihr Rückhalt schwindet.
Ein Grund dafür ist Köln. Erst fünf Tage nach den Ereignissen der Silvesternacht ließ sie dem Kölner Stadt-Anzeiger eine Erklärung zukommen, mit der Bitte, diese an die Agenturen weiterzugeben. Kein Vor-Ort-Termin, kein öffentliches Statement – die Ministerpräsidentin tauchte ab, als die Übergriffe weltweit Schlagzeilen machten. Das war fatal.
Nach der Loveparade-Katastrophe und dem Absturz der Germanwings-Maschine hatte die 54-Jährige bewegende Worte gefunden, trauernde Angehörige in den Arm genommen. Erst Mitte Januar entschuldigte sich Kraft bei den Opfern der Übergriffe in der Silvesternacht. Ihr Mitgefühl kam zu spät, ihr Image als „Kümmerin“ ist seither angeknackst.
Bald sechs Jahre steht die gebürtige Mülheimerin als erste Frau an der Spitze des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Ihr Start war schwierig: Zunächst regierte Kraft in einer Minderheitsregierung mit den Grünen. Das funktionierte weitgehend reibungslos, doch ein Dreivierteljahr später löste sich der Landtag nach Scheitern der Haushaltsverhandlungen auf. Bei der anschließenden Neuwahl im Mai 2012 holte die Sozialdemokratin fast 39 Prozent für ihre Partei. Ein Traumergebnis, für das ihr auch die Kanzlerin Respekt zollte.
Doch die Herausforderungen blieben gewaltig. Etwa die Verschuldung. Während die meisten Bundesländer wegen der guten Konjunkturlage seit Jahren Altschulden tilgen, muss Düsseldorf weiter Millionenkredite aufnehmen. Der Sanierungsstau ist zu groß. Das Ruhrgebiet, Dauersorgenkind, hat auch Kraft nicht in den Griff bekommen. Die Armutsquote beträgt 20 Prozent – auch das Präventivprogramm „Kein Kind zurücklassen“ konnte das nicht verhindern.
Besserung? Fehlanzeige. NRW schneidet in Wirtschaftsrankings seit Jahren schlecht ab. Krafts Herausforderer bei der Landtagswahl, NRW-CDU-Chef und Bundesparteivize Armin Laschet, ätzt ständig: „Unser Land wird weit unter Wert regiert.“
„Nie, nie Kanzlerkandidatin“
Traditionell galten die Ministerpräsidenten in Düsseldorf immer als „Ersatzkanzler“. Kraft jedoch wollte „nie, nie Kanzlerkandidatin“ werden. Sie verortet sich zwischen Bonn und Bielefeld, mit dem Bund streitet sie vorwiegend ums Geld. Manchmal erfolgreich. Auf dem Flüchtlingsgipfel im vergangenen Herbst bekam sie weitere Milliardenzusagen. Doch es reicht nicht. Vor einem Monat tat sich der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans ausgerechnet mit seinem bayerischen Kollegen Markus Söder zusammen und forderte von Bundesfinanzminister Schäuble weitere Milliarden für die Integration von Flüchtlingen. Bislang erfolglos.
Die Flüchtlingskrise scheint Kraft langsam über den Kopf zu wachsen. Das Vertrauen in den Rechtsstaat schwindet in der Bevölkerung. Wie ein Paris-Attentäter unter sieben Identitäten in einer Recklinghausener Asylunterkunft leben konnte, musste Innenminister Ralf Jäger (SPD) mehrfach im Landtag erklären. Jäger gilt als Krafts „Zugpferd“, der 55-Jährige stammt wie sie aus einfachen Verhältnissen. Der gebürtige Duisburger ist eloquent, medienversiert, dickfellig und verleiht dem eher blassen Kabinett Farbe.
Doch seit dem Jahreswechsel ist Jäger angeschlagen, Zeugenaussagen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht bringen den obersten Chef der Landespolizei immer mehr in die Bredouille. Mit Spannung erwartet die Opposition seine Aussagen im Ausschuss, wann er geladen wird, steht noch nicht fest. Und auch nicht, ob die Ministerpräsidentin aussagen muss.
Für Kraft scheint Jäger unersetzlich, die Opposition aber wird nicht müde, seinen Rücktritt zu fordern. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnet den Minister als „Klotz am Bein“ und „dauerhafte Flanke“ der Ministerpräsidentin. Der Wahlkampf ist in vollem Gange.
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