Ministerpärchen besuchen Schulen: Integration als Halbstunden-Show
Deutsch-französische Ministerpärchen mimen in Berliner Schulen Offenheit für Zuwanderer. Dabei haben Merkel und Sarkozy integrationspolitisch wenig zu bieten.
Eine halbe Stunde lang plauscht Bundeskanzlerin Angela Merkel schon mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. In einer Berliner Oberschule tauschen sie Nettigkeiten über Integration von Zuwanderern aus. Dann meldet sich die 18-jährige Tawga Kadir: "Warum sitzt in ihrem Kabinett kein Einwanderer?", will sie von der Kanzlerin wissen. Merkel bedauert - es gebe nicht einmal einen CDU-Abgeordneten mit türkischem Hintergrund, gibt die Regierungschefin zu. Schülerin Kadir lässt nicht locker. "Warum nicht?", hakt sie nach, "die deutsche Regierung setzt kein Zeichen."
Der deutsche und der französische Außenminister, Frank-Walter Steinmeier und Bernard Kouchner, nahmen am Montag diesen Integrationssong auf:
Wir haben andere Sitten, ihr habt andere Sitten, / kommt sehn wir uns in die Augen, sagen die Meinung, / zeigen das wahre Gesicht. / Ihr fragt euch, wieso wir so sind, / wir fragen, wieso Ihr so seid. /
Komm, treffen wir uns endlich und reden völlig normal. / Komm runter, komm endlich klar, / versteh mich und nimm mich wahr, / dein Urteil ist nicht wahr, / vergiss doch mal das schwarze Haar. // Deutschland, warum verschließt du dich.
Deutschland, leg deine Karten auf den Tisch. Deutschland, warum verschließt du dich.
Deutschland, leg deine Karten auf den Tisch. //Denkst du, ich werde mich ergeben, / denkst du, ich halt nicht dagegen, / denkst du, dass ich still und schweigend mich hier einfach auf deinen Boden leg. // Es geht nicht, wir geben nicht auf. / Wir streiken, wir gehen den Weg hinauf. / Ihr haltet uns alle nicht auf. / Ihr werdet sehn, wir schaffen es auch. //
Komm runter, komm endlich klar / versteh mich und nimm mich wahr, dein Urteil ist nicht wahr. /
Vergiss doch mal das schwarze Haar. // Deutschland, warum verschließt du dich.
Deutschland, leg deine Karten (Text: Muhabbet)
Die Diskussion am Berliner Romain-Rolland-Gymnasium war nur eine von vielen Schauveranstaltungen, welche der deutsch-französische Ministerrat am Montag veranstaltete. Rund ein Dutzend deutsch-französische Ministerpärchen besuchten Schulen oder Integrationsprojekte. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nahm mit seinem Kollegen Bernard Kouchner in einem Kreuzberger Studio sogar einen Popsong auf - zusammen mit dem deutsch-türkischen Musiker Muhabbet: "Deutschland, warum verschließt du dich?", heißt der Refrain.
Dabei kann die Integrationsparty nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland und Frankreich selbst Problemschüler in Sachen Integration sind. Aus der Pisa-Studie lassen sich Abgründe zwischen den Leistungen von zugewanderten und heimischen Schülern ablesen - in beiden Ländern. So können in Frankreich 40 Prozent der Schüler der ersten Einwanderergeneration Texte zwar lesen, sie aber nicht verstehen. In Deutschland sind es gar 40 Prozent der zweiten Generation, also der hier Geborenen, die in der Schule praktisch nicht lesen lernen. Aus den Schockerlebnissen, dem Kollaps der Rütli-Schule und dem Aufstand in den Vororten von Paris 2005, haben Deutschland wie Frankreich wenig gelernt.
Sarkozy hat zwar, im Gegensatz zu Merkel, drei Migrantenkinder als Minister in sein Kabinett geholt. Gleichzeitig aber geht er härter gegen illegale Einwanderer vor. Allein in diesem Jahr will er 25.000 Ausländer abschieben. Den Nachzug der Familien von Einwanderern will Sarkozy beschränken, indem er per DNA-Test ihre Verwandtschaft testen lässt.
Und Deutschland hat im Juli dieses Jahres einen "Nationalen Integrationsplan" verabschiedet. Darin verpflichten sich Politik, Wirtschaft und Verbände zu 400 Maßnahmen, um Einwanderer besser einzugliedern. Unter anderem wurde vereinbart, die Integrationskurse aufzustocken. Bis 2010 sollen Unternehmer ausländischer Herkunft 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Die Bundesregierung selbst kann wegen fehlender Zuständigkeit für Bildung in den Schulen fast nichts unternehmen oder gar verbessern.
Was die Politiker beider Länder konkret empfehlen, war am Montag in dem deutschen-französischen Gymnasium zu erfahren, das Sarkozy und Merkel besuchten. Merkel gab den Migranten den Tipp, "offen und selbstbewusst auf andere zuzugehen". Und Sarkozy, Sohn eines ungarischen Einwanderers, sagte: "Man muss kämpfen im Leben."
Da mischte sich wieder die 18-jährige Schülerin Tawga Kadir ein. "Sie sollten nicht immer nur von den Ausländern etwas erwarten", sagte sie. "Auch das Aufnahmeland muss etwas tun."
Danach wollte Tonny Kondo eine Frage stellen. Der 15-Jährige stammt aus Kenia und ist Schüler der Rütli-Schule. Er wollte wissen, warum in Deutschland unter den Polizisten so wenige Einwanderer seien. Doch das hörten die beiden Staatsoberhäupter schon nicht mehr. Sie waren schon ab - zum nächsten Termin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!