■ Standbild: Minister in XXS
„Boulevard Bio“, Dienstag, 23 Uhr, ARD
Wer sich einen gewagten Blick in die Abgründe der kleinwüchsigen Psyche erhofft hatte, wurde schnell enttäuscht. Kurz nachdem Alfred Biolek seine vier Gäste vorgestellt hatte, war der populäre Begriff „Komplex“ bereits als mißliebig ausgeschieden. „Kleiner Mann“ hieß das Thema, zu dem nur Talk-Teilnehmer unter 170 Zentimeter erschienen waren.
Der Kürzeste in der Runde hieß Carsten Kramer. Der zwanzigjährige Schauspielstudent war der einzige, der ehrlich all die Fragen beantwortete, die Bioleks prominentere Gegenüber elegant abbügelten. Kramer gab Auskunft zu den Nöten des Kleiderkaufs, zu den Hänseleien in der Schule, den Begegnungen mit Frauen und zu dem stabilisierenden Effekt, den die Schauspielausbildung für ihn habe. Hier sei er, so Kramer, gezwungen, sein Selbstbewußtsein zu schulen und sein kleine Größe nicht als Makel zu sehen: „Es gibt schöne Rollen für kleine Leute“, zum Beispiel der kleine Muck oder Richard III. Allerdings kannte Biolek Kramers Antworten natürlich bereits, und so nahm er sie seinem Gast vorsorglich aus dem Mund – schließlich geht Reden beim großen Bio immer etwas schneller.
Die übrigen drei Gäste brauchten nicht so tief in sich zu gehen. Vielleicht fehlte Biolek auch einfach die Traute: Den WDR-Intendanten Friedrich Nowottny begrüßte er mit „Hallo Chef“, was witzig klingen sollte, es aber nicht war. Denn Nowottny präsentierte sich als trockener Boß, der von einem Honorar-Empfänger seines Betriebs die eigene Laufbahn rekapitulieren ließ: Kleine Leute kommen schneller voran, weil niemand sie bemerkt.
Bundesminister Norbert Blüm, 167 Zentimenter, redete sich gewandter aus der Affäre. Er erzählte Jugendschwänke aus seiner Zeit als Meßdiener, Tanzschüler und Pfadfinder und rettete sich in Weisheiten der Art: „Man muß aus allem seinen Vorteil ziehen.“ Nobbi verplauderte ein Drittel der Sendestunde, deshalb hatte der 165 Zentimeter kleine Capital-Herausgeber Johannes Gross nur wenig Zeit, seine Thesen über die Rolle der Körpergröße in mittelständischen Unternehmen anzureißen. So blieb von dem FAZ-Kolumnisten vor allem ein peinliches Foto in Erinnerung: Wenn der Herrenmensch in einer Gruppe von Pygmäen posiert, erscheint er tatsächlich groß. Claudia Wahjudi
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