Miniserie „Unbroken“: Die neuen Spielräume
Nach dem „Tatort“-Ausstieg ermittelt Aylin Tezel in „Unbroken“ als ZDF-Kommissarin. Der Sechsteiler ist sehenswert, bleibt aber gehemmt und brav.
Was ist das Allerschlimmste, das einer Frau passieren kann? Das ist die Frage, von der die Autoren Marc O. Seng („Dark“) und Andreas Linke ausgegangen sind, als sie ihre Serie „Unbroken“ entwickelt haben. Im hauseigenen Spartenkanal ZDFneo darf es etwas härter zur Sache gehen als im Hauptprogramm des Zweiten. Und überhaupt spüren die Fernsehfilmschaffenden bei den Öffentlich-Rechtlichen eine Vergrößerung der Spielräume, so hört man immer wieder, die Konkurrenz der Streaming-Dienste hat auch dort Folgen.
Das Allerschlimmste, das einer Frau passieren kann, meinen (die Männer) Seng und Linke, ist, dass man ihr ihr Kind wegnimmt, noch bevor sie es überhaupt zur Welt gebracht hat. Die hochschwangere Alexandra Enders war gerade einkaufen, da wird sie in ihrem Auto überwältigt, betäubt und findet dann irgendwo in einem dunklen deutschen Wald wieder zu sich, nur mit einem weißen Hemd bekleidet, im Bereich des Unterleibs ist es voller Blut. „Mama, da ist ein Monster“, sagt der kleine Junge, der sie als Erster so sieht.
Was als veritabler Horror-Thriller (à la Lars von Triers „Antichrist“) beginnt und beim ZDF als „sechsteilige Dramaserie“ firmiert, erweist sich bald als ausgefeilter Krimiplot. Alex, das Opfer, ist nämlich von Beruf Kommissarin. Und auch wenn alle anderen – ihr Mann, ihr Chef – den Fall bald als furchtbaren Schicksalsschlag abhaken wollen: für sie bleibt er natürlich ein Fall. Sie kann gar nicht anders, als in eigener Sache zu ermitteln. („Ich werde mein Kind wiederfinden! … Mein Kind lebt. Ich weiß das.“)
Es ist ihre Natur. Als Mutter. Als Kommissarin. Sie kann gar nicht anders, als in dem neuen Fall, in dem sie ermittelt, die Parallelen zu ihrem eigenen Fall zu erkennen. Eine junge Frau wurde ermordet. Eine aus Rumänien stammende Leihmutter. Leihmutterschaft ist in Deutschland Kinderhandel (und also höchst illegal), in anderen Ländern ist sie die letzte Lösung für ein als existentiell empfundenes Problem – in manchen ärmeren Ländern ist sie ein gutes Geschäft.
Immer muss alles logisch erklärt werden
Unendlich traurig, wahnsinnig wütend – aber ungebrochen – heftet sich Alex an die Fersen des Mobsters Radu Motrescu (Aleksandar Tesla). Der geht über Leichen, aber er ist nicht blöd und sein Rat an Alex nicht völlig unplausibel: „Suchen Sie den Entführer Ihrer Tochter ganz in Ihrer Nähe. Nur jemand mit einem sehr persönlichen Motiv ist zu einer solchen Tat fähig.“
In ihrer Nähe gibt es außer ihrem an der Grenze des Erträglichen und darüber hinaus lieben Mann (Sebastian Zimmler) und dem demenzkranken Vater (André Jung), einem Ex-Polizisten, eigentlich nur die Kollegen. Özgür Karadeniz gibt den Vorgesetzten, Paul Nowak, noch eine Spur jovialer als in Lars Beckers „Nachtschicht“-Filmen.
Für die Schauspielerin Aylin Tezel in der Hauptrolle dürfte das eine ganz neue Erfahrung sein. Am vergangenen Sonntag lief der erste Dortmund-„Tatort“ nach ihrem Ausstieg. Undenkbar, dass die dortige Depri-und-Mobbing-Truppe (die sie jedenfalls bis zu Tezels Ausstieg war) nach Feierabend zusammen zum Kegeln und zum Karaoke gegangen wäre wie jetzt die Ermittlerkollegen im nahen Duisburg. Hier dreht sich nun alles um Tezel.
Nora Dalay, ihre „Tatort“-Kommissarin, war eine beruflich ambitionierte, körperlich fitte, gleichzeitig toughe und empathische Polizistin, die keine Lust auf die Mutterrolle hatte. Es sind genau diese Eigenschaften, mit der die Autoren Seng und Linke auch Alexandra Enders ausgestattet haben. Nur um ihr das Allerschlimmste anzutun, was sie, aus ihrer Sicht, einer Frau antun konnten.
Keine Frage, Aylin Tezel meistert die schauspielerische Herausforderung bravourös. So bravourös, wie man das von der inzwischen vielfach (etwa im vergangenen Jahr mit dem Bayerischen Fernsehpreis) Ausgezeichneten unter der Anleitung eines (Krimi-)Routiniers wie Regisseurs Andreas Senn erwarten durfte.
Gegen die sehenswerte, am Ende aber doch etwas allzu wohlfeile Produktion spricht: Es verfestigt sich der Eindruck, dass deutsche Serienschöpfer immer etwas zu brav, zu gehemmt, zu akkurat vorgehen, wenn sie internationalen Vorbildern nacheifern. Immer muss da alles logisch erklärt, jeder Strang unbedingt aufgelöst werden. Oder anders gesagt: „Unbroken“ verhält sich zu „Kommissarin Lund“ ungefähr so wie „Dark“ zu „Twin Peaks“.
Die neuen Spielräume sind entweder doch nicht so groß – oder die Kreativen wissen sie noch nicht zu nutzen.