Minirente statt Hartz IV: Neue Rutschbahn in die Altersarmut
Hartz IV-Empfänger ab dem 60.Lebensjahr werden ab Januar in Zwangsverrentung geschickt. Für viele ein finanzielles Desaster. Die Gewerkschaft Ver.di protestiert.
BERLIN taz Schon merkwürdig: Während die großen Parteien lang und breit über die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I streiten und damit "näher an die Menschen" (Kurt Beck) wollen, geschieht der eigentliche Skandal fast unbemerkt. Vom 1. Januar an werden nämlich alle Empfänger von Arbeitslosengeld II, die das 60. Lebensjahr erreichen, automatisch verrentet. Sie bekommen dann aber nur eine um 18 Prozent gekürzte Rente - mit teilweise dramatischen Folgen, wie Ver.di-Chef Frank Bsirske gestern erklärte.
Auch Durchschnittsverdiener, die länger arbeitslos werden, könnten durch die Regelung in den Kreis jener rutschen, die im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sind, so Bsirske. Noch sei die geplante Veränderung nicht auf "dem Radarschirm" der öffentlichen Wahrnehmung gelangt. Doch das werde sich ändern, meinte der Ver.di-Chef.
Die Verschlechterung für die Empfänger von Arbeitslosengeld II ist auf eine Regelung im Sozialgesetzbuch II zurückzuführen, die ab Januar kommenden Jahres greift. Danach darf die Leistung nach Hartz IV nur nachrangig gewährt werden, wenn keine andere Sozialleistung wie etwa die Rente zur Verfügung steht. Bislang durften Hartz-IV-Empfänger wählen, ob sie sich im Alter von 60 Jahren oder lieber später verrenten lassen wollten. Eine spätere Verrentung bringt dabei für manche Betroffene Geld. Denn nur wer mit 65 Jahren in die Rente wechselt, bekommt ein abschlagsfreies Ruhestandsgeld. Wer aber mit 60 schon Rente beantragt, erhält ein um 18 Prozent gekürztes Altersgeld, und zwar für den Rest seines Lebens.
Künftig werden die Jobcenter automatisch für alle 60-jährigen Langzeitarbeitslosen dieses gekürzte Ruhegeld beantragen müssen, erklärte Bsirske. Er rechne mit 180.000 Betroffenen, zu denen jährlich 50.000 weitere "Zwangsverrentete" kämen.
Die Minirente für Hartz-IV-Empfänger ist deswegen dramatisch, weil viele Betroffene damit unter das Existenzminimum rutschen und deshalb aufstockende Sozialhilfe beantragen müssten. Damit man diese Sozialhilfe bekommt, muss aber zuvor bis auf einen Schonbetrag von 1.600 Euro jedes eigene Vermögen aufgebraucht sein. Ein 60-jähriger Hartz-Empfänger hingegen darf 15.000 Euro Schonvermögen besitzen und erhält trotzdem Arbeitslosengeld II.
Besonders Frauen, die einen niedrigen Rentenanspruch erworben haben und im Alter zu Hartz-IV-Empfängern werden, können durch die automatische Frühverrentung betroffen sein. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg ergab kürzlich, dass besonders Hilfeempfängerinnen in Westdeutschland vergleichsweise geringe Rentenansprüche haben. Für Arbeitslosengeld-II-Empfänger mit hohem Rentenanspruch hingegen ändert sich durch die Regelung kaum etwas: Sie gehen auch heute schon mit 60 Jahren in Rente, denn auch ihr gemindertes Ruhegeld liegt immer noch höher als Hartz IV.
Auch die Fraktion Die Linke hat bereits gegen die drohende "Zwangsverrentung" von Hartz-IV-Empfängern protestiert. Dass die Angst vor Altersarmut grassiert, beweist eine neue Studie der Postbank. Danach fürchtet jeder Sechste, seinen Lebensunterhalt im Alter nicht mehr aus eigenen Mitteln bestreiten zu können. In Ostdeutschland rechnet inzwischen sogar jeder Vierte damit, dass das Geld später nicht reicht. 43 Prozent der Befragten waren dafür, eine private Altersvorsorge zur gesetzlichen Pflicht zu machen. Dies würde im Alter dann allerdings Menschen nichts nutzen, die wegen ihrer geringen Rente auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind und dann erst mal genau dieses Ersparte aufbrauchen müssten, bevor sie Leistungen bekommen.
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