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Mindestsicherung in Österreich744 Euro für alle

Österreich gewährt seinen Bürgern eine Grundsicherung von 744 Euro im Monat, Mietbeihilfe und Krankenversicherung inklusive. Zu viel zum Verhungern, zu wenig zum Leben.

Verliebt in Wien: Küssen kostet nichts. Bild: nonanet – Lizenz: CC-BY-SA

WIEN taz | Eine bedarfsorientierte Mindestsicherung soll ab 1. September die Maschen des sozialen Netzes in Österreich dichter machen. Darauf hat sich Sozialminister Rudolf Hundstorfer, SPÖ, in dieser Woche bei einer Konferenz mit den Sozialreferenten der Bundesländer in Salzburg geeinigt. Er feierte das Grundsatzübereinkommen als Meilenstein der Sozialpolitik. Unterschiedliche Vorstellungen über Höhe und Auszahlungsweise hatten den Beschluss monatelang verzögert. Laut Armutskonferenz, einem Netzwerk von Sozialorganisationen, ist in Österreich fast eine halbe Million Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Nach den Schätzungen des Ministeriums werden etwa 270.000 Menschen Anspruch auf die Grundsicherung haben. Sie ergänzt die traditionelle Sozialhilfe oder die Notstandshilfe, die beantragt werden kann, wenn die Arbeitslosenunterstützung ausläuft.

744 Euro netto werden sich alleinstehende Bezieher monatlich überweisen lassen können, Ehepaare maximal 1.116 Euro. Ein Mietzuschuss von 168 Euro ist darin schon enthalten. Das ist nach dem Kalkül der Experten genug zum Überleben und zu wenig, als dass ein arbeitsfähiger Mensch die Jobsuche einstellt. Minister Hundstorfer stellt sich vor, dass der Transfer "als Trampolin zurück in den Arbeitsmarkt wirkt". Österreichweit sind gemeinsame Beratungs- und Betreuungseinrichtungen von Sozialministerium und Arbeitsmarktservice (AMS) geplant, die den Hilfsempfängern helfen sollen, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. "Arbeit ist sinnstiftend, sichert ein eigenständiges Einkommen und ist wichtig für das Selbstwertgefühl", heißt es in einer Erklärung des Ministeriums, die klarstellt, dass das beschlossene Modell nichts mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun hat, das jedem Menschen einen menschenrechtlichen Anspruch auf Existenzsicherung garantieren würde. Für ein solches machen sich verschiedene Menschenrechts- und Sozialorganisationen seit Jahren erfolglos stark.

Im Grunde ist die Mindestsicherung eine Verwaltungsvereinfachung, von der vor allem jene profitieren, die bisher unter dem Existenzminimum leben mussten. Bezieher werden auch krankenversichert. Die Unterstützung wird bei einer einzigen Stelle beantragt, zum Beispiel beim AMS. Andrea Otter vom Sozialministerium verspricht sich davon, dass auch jene, die bisher nicht wussten, dass sie anspruchsberechtigt sind, auf die Mindestsicherung hingewiesen werden. Arbeitswilligkeit zählt aber ebenso zu den Voraussetzungen wie eine Bedarfs- und Vermögensprüfung. "Es gibt bei der Mindestsicherung klare und transparente Regeln, die dem Missbrauch einen Riegel vorschieben", so Hundstorfer gegenüber Warnungen, die Transferleistung könnte dem Müßiggang Vorschub leisten. Überprüft werden die Voraussetzungen von den Bezirksverwaltungen.

Strittig war lange, ob die Mindestsicherung 12- oder 14-mal jährlich ausgezahlt werden soll. Wieder setzte sich die ÖVP durch, die zwölf Zahlungen für ausreichend hält. "Leistung muss sich lohnen", so Fraktionschef Karlheinz Kopf: "Denn wenn Leistung sich nicht lohnt, ist der Sozialstaat in Gefahr." Finanziert wird die Mindestsicherung von Bund und Ländern gemeinsam, abgewickelt von den Ländern. Der Bund will jährlich 140 Millionen Euro zusätzlich zu den bisherigen Leistungen zuschießen, um die Ausfallshaftung der Krankenversicherung und den erhöhten Personalbedarf beim AMS abzudecken.

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15 Kommentare

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  • WT
    waltraud tonweber

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    Lieber Anonymus, ich glaub dir gern, dass du mit weit weniger als den 744 Eu auskommen musst. Dir - und vielen von uns - fehlt die nötige kriminelle Energie, um dieses Angebot so richtig ausschöpfen zu können.

    Ein bissl aus dem praktischen Leben ? Mein Nachbar denkt nicht an Arbeit, sammelt dafür Exekutionen wie andere Schwammerln und lacht sich eins. Einmal hat er mich als Nachbarin zusammengeschlagen, einfach so auf meinem Grundstück. Er ist verurteilt worden, aber Schmerzensgeld seh ich keins. Er ist "nicht exekutierbar". Ich muss sogar meinen Anwalt selber zahlen. Er lebt im Haus seiner Mutter und seine Freundin, die offiziell n i c h t mit ihm zusammenlebt, die die Landwirtschaft schupft, selbst im Winter um 7 im Stall steht, lebt von Sozialhilfe, da sie aus psychischen Gründen nicht imstande ist, die leichteste Arbeit zu verrichten. Von Zeit zu Zeit erhalte ich eine Aufstellung übers Gericht, dass Herr N. nicht exekutierbar ist. Der Alk geht nie aus und es entgeht uns nicht, dass er von Zeit zu Zeit arbeitet. Wo ist sein Geheimnis. Er prophezeit mir, dass mich längst die Würmer gfressen haben werden und er hat noch immer nix bezahlt. Ich glaub ihm...

  • A
    Andreas

    Ach, Thomas. Diese Art von Kommentaren lässt den Kommentator nur verrückt erscheinen. Wenn man etwas erreichen will, darf man die, die entscheiden, nicht beschimpfen.

     

    Ich diagnostiziere keine Stasi- oder Gestapo-Mentalität, sondern eine "paradigmatische Starre". Das BGE (bedingungslose Grundeinkommen) ist gleichzeitig vernünftig und effizient und widerspricht doch allem, was bisher traditionellerweise über Arbeit, Einkommen und Lebensunterhalt gedacht wurde.

     

    Ja, schade, das Österreich diese Chance vertan hat. Es wäre unbedingt nötig gewesen, dass man das BGE als Einkommen behandelt wie Kapitalerträge, die man aus einer Erbschaft hat. Es dürfte mit zusätzlichem Arbeitseinkommen nichts zu tun haben, d.h. Arbeit dürfte nicht gefordert werden und der Verdienst nicht angerechnet werden.

     

    Das BGE sollte m.E. so hoch sein, dass es eine spürbare Entlastung bringt, und so niedrig, dass der Anreiz erhalten bleibt, für einen Zusatzverdienst eine Arbeitsleistung zu erbringen. Bürger, die aus irgendeinem Grunde gar kein Arbeitseinkommen erzielen können, sollten eine Zusatzleistung erhalten, die eine menschenwürdige Existenz sichert. Das wird aber m.E. nur etwa 20 Prozent der heutigen HartzIV-Empfänger betreffen.

     

    Das müsste doch jeder intelligente Sozialpolitiker verstehen können.

  • M
    moff

    Da sind uns die Ösis mal einen guten Schritt voraus.

  • G
    Grünschnabel24

    Seit der Einführung des Geldes geht es nunmehr nur noch ums Geld.

    Ich traue mich zu sagen, generell.

     

    Warum sind wir abhängig von Geld? Und wollen wir das?

     

    Fakt ist: Es wird weniger Arbeitsplätze geben.

    Diesen Satz habe ich bisher von nur wenigen gehört.

    Unser Ehemaliger Arbeitsminister wollte doch tatsächlich Vollbeschäftigung. Gibt es einen direkteren Weg, seine Inkompetenz preis zu geben?

     

    Fakt ist: Ohne Geld, kein Überleben.

    Ist das nicht komisch?

    Was benötigt man zum Leben?

    Meiner Ansicht nach folgende Dinge:

    - Frische Luft (O2)

    - Etwas zu Essen, Nahrung / ein Platz um das Verdaute abzulagern

    - Kleidung (warme)

    - ein Dach über dem Kopf

    - soziale Kontakte

    - eine Tätigkeit, Arbeit

     

    Das sehen aber viele nicht so.

    Vielen leuchtet das mit der Luft vllt. noch ein, da sie Lebensnotwendig ist, Kleidung und ein Dach über dem Kopf auch, aber der Rest?

     

     

     

    Das Grundeinkommen entkoppelt die lebensnotwendige Bindung zu Geld/Arbeit

    Die Kriminalitätsrate wird rapide sinken.

    KleinGanoven und Bankräuber werden der Vergangenheit angehören. Warum?

    Weil sie in der Zeit, gestütz vom Grundeinkommen, lieber etwas sinnvolles machen, wie Musik, künsterlisches o.ä.

     

     

    Doch, wollen unsere Politiker uns überhaupt Frei machen?

  • T
    Tom

    An Anonymous: Dir ist aber schon klar das du Student bis für einen überschaubaren kurzen Zeitraum? Danach steht dir die Welt offen im Vergleich zu den Leuten die auf dieses "Grundeinkommen" angewiesen sein werden. Heißt heul nicht herum das du als Student weniger hast für relativ kurze Zeit, sondern rechne mal aus wieviele Monate du brauchst nach deiner Studienzeit um das mehrfache dessen zu verdienen was diese Leute bekommen. Also mal ein ganz schlechter Vergleich. Sonst können wir bald auch das Taschengeld von Kindern vergleichen mit dem Einkommen.

  • S
    Sim

    @ dietah

     

    hört sich das nicht schon wieder nach bedingungslosem Grundeinkommen an?

     

    kann mich Dir nur anschließen!

  • D
    dietah

    Je süßer sie klingen:

     

    "Arbeit ist sinnstiftend, sichert ein eigenständiges Einkommen und ist wichtig für das Selbstwertgefühl"

     

    "Leistung muss sich wieder lohnen!"

     

    Desto dämlicher und banaler die Realität.

     

    Es gibt einfach nicht genug Jobs. Warum auch? Deswegen haben wir ja die Baumkronen verlassen. Unsere Heinzelmännchen sehen zwar nicht ganz so aus. Eher metallisch und monströs. Aber hey, wer wird sich beschweren.

     

    Es ist das Paradies, in dem der Mensch stets in Märchen und Erzählungen schwelgte. HA!

    Er hat nur nicht mit dem unüberbrückbaren Widerstand einiger ewig Gestriger Neider und missgünstigen Kontrollfreaks gerechnet. Die jedwede Realität ignorierend munter weiter Dampfwolken verbreiten.

     

    Ich kann nur vermuten. Aber ihr habt einfach ne Menge Schiss, dass die Menschen die Frei(-heit/-zeit) im schlimmsten Fall zum Nachdenken nutzen und OMG eventuell ein paar unangenehme Fragen stellen? Wenn der Überlebenskampf, der künstlich am Leben gehaltene, nicht einzig Sinn im Leben ist? Anders macht dieser sinnbefreite Schrott einfach keinen Sinn.

     

    Bei unserer explodierten Produktivität sind mehr als 20 h pro Woche einfach nicht meher nötig. Aber wir arbeiten immer noch wie im 19 Jhrdt. Wer kassiert diesen Extra Profit eigentlich ein?

  • L
    Lohnsteuerjahresausgleich

    "Das ist nach dem Kalkül der Experten genug zum Überleben und zu wenig, als dass ein arbeitsfähiger Mensch die Jobsuche einstellt."

     

    Das ist ja schrecklich, geradezu unmenschlich!

    Arbeitsfaehige Menschen sollten niemals arbeiten, sondern 70 oder 80 Jahre fuer das Nichtstun bezahlt werden.

  • R
    Rita

    Ich finde es so befremdlich, dass immernoch gemeinhin angenommen wird, Leistung müsse sich "lohnen". Als würde der Mensch nur mit Belohnung bereit zur Leistung sein...das hat dann aber nicht mehr viel mit Selbstwert zu tun - da also wieder mal ein Widerspruch in sich und es ist entlarvt, wie verlogen und unsozial das ganze ist! Jeder Mensch hat Ideen, Potentiale und "leistet" somit auch gern.

  • L
    lgk

    Falsch: zu wenig zum Hungern und zu viel zum Leben muß es heißen, ihr Knallköppe.

  • A
    Anonymus

    744 Euro hätte ich gerne als Student pro Monat.

    Ich muss mit bedeutend weniger zurechtkommen und schaffe das ohne Probleme.

  • V
    vvv

    Seid zufrieden was euch Zufrieden Macht!

     

    Mietwohnugen machen doch eh nur kaputt, vereinsammung. Und Tellerand denken! Mit diesem Grundeinkommen kann jeder nomadisch gut leben Vieleicht gehts ja jetzt nach oessi land!

  • S
    Sim

    [...]dass das beschlossene Modell nichts mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun hat[...]. Für ein solches machen sich verschiedene Menschenrechts- und Sozialorganisationen seit Jahren erfolglos stark.

     

     

    Erfolglos? Bitte?

     

     

    Ich bitte die TAZ-Redaktion mal zu recherchieren und Erfolg und Misserfolg der "Sozialorganisationen" im Bezug auf das bedingunslose Grundeinkommen, gegenüber zu stellen!

     

    Man wird feststellen das es so einige Erfolge gibt, geben wird, und gegeben hat!

     

    ..und überhaupt, es gibt meiner Meinung nach viel zu wenig Artikel über das bdingungslose Grundeikommen in der TAZ..

     

    Danke

  • S
    Schulz

    Ehepaare werden bestraft?

    In Oesterreich?

    168 Miete halte ich fuer eine Theorie,

    keine Theologie.

    Kindergeld bereits enthalten?

    Wieviele erfrieren oder sind in Holzhuetten

    unterwegs?

     

    Die Linken wirds freuen.

  • T
    Thomas

    Das bedingungslose Grundeinkommen ist viel intelligenter und prüft weder den Bedarf noch die Vermögenssituation. Somit werden die Sparsamen nicht diskrimminiert.

     

    Aber Politiker in Österreich und in der BRD haben einen psychischen Defekt und der lautet: Totale Kontrolle

     

    Dieser Defekt lässt sich nur durch die inkorporierte Stasi / Gestapo - Mentalität der Staatsvertreter erklären.

     

    Schade es wurde die Möglichkeit einer Bürgergesellschaft vertan.