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Mindestlohn in EuropaUnterkante 71 Cent

Deutschland ist mit seiner Ablehnung eines Mindestlohns in Europa Außenseiter. Die meisten EU-Länder besitzen einen Mindestlohn. Er reicht von 10 Euro bis 71 Cent.

Während in Deutschland noch gekämpft wird, sind andere Staaten viel innovativer beim Thema Mindestlohn. Bild: ap

BERLIN taz | Deutschland ist in Sachen Mindestlohn ein europäischer Außenseiter. Denn in 20 von 27 EU-Ländern existiert bereits ein branchenübergreifender, universeller Mindestlohn, der per Gesetz verankert wurde.

So darf Beschäftigten in Luxemburg generell nicht weniger als 10,16 Euro, in Frankreich nicht weniger als neun Euro und in Großbritannien umgerechnet nicht weniger als 6,91 Euro Stundenlohn gezahlt werden.

Die Mindestlohnniveaus sind jedoch sehr unterschiedlich: In Westeuropa liegen die niedrigsten Stundenlöhne bei knapp sieben Euro, in Südeuropa zwischen drei und vier Euro. In Osteuropa reichen sie von 1,85 Euro (Polen) bis 71 Cent (Bulgarien). Allein Slowenien hat eine höhere Lohnuntergrenze von 4,32 Euro eingeführt. Die Mindestlöhne werden zumeist jährlich angepasst. Belgien orientiert sich dabei an der Preissteigerungsrate, Frankreich und die Niederlande auch an der allgemeinen Lohnentwicklung.

Vorbild Großbritannien

Als Vorbild für einen Weg zur Etablierung von Mindestlöhnen gilt etlichen Forschern und auch den hiesigen Oppositionsparteien Großbritannien. Eine Low Pay Commission, die zu jeweils gleichen Teilen aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaftlern besteht, führt umfangreiche Studien durch und schlägt jährlich eine neue Mindestlohngrenze vor.

Die Politik hat jedoch das letzte Wort und legt diese Grenze fest. Sie folgt dabei maßgeblich den Vorschlägen der Low Pay Commission. Mittlerweile sind auf der Insel auch die meisten Arbeitgeber für Mindestlöhne.

In der deutschen Forschung tobt um Mindestlöhne immer noch ein heftiger Streit. Allerdings geraten die Mindestlohngegner mit ihren oft pauschalen Aussagen, Mindestlöhne vernichteten Arbeitsplätze, mehr und mehr ins Hintertreffen. Noch unter Verschluss hält die Bundesregierung beispielsweise eine in ihrem Auftrag erstellte Studie von vier Wirtschaftsforschungsinstituten.

Das Ergebnis der Studie ist laut Spiegel, dass die wenigen Branchenmindestlöhne, die in Deutschland existieren, weder Arbeitsplätze vernichtet noch zu Wettbewerbsverzerrung geführt haben. Auch die bisher umfangreichste empirische Studie zu US-Mindestlöhnen, die den Zeitraum von 1990 bis 2006 abdeckt, zeigt, dass Lohnuntergrenzen keine Arbeitsplätze vernichten.

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6 Kommentare

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  • I
    Ingo

    Wir brauchen keinen nationalen Mindestlohn und Ost und West

    schon garnicht. Jeder Kreis sollte Mindestlöhne mit einer Kommission festlegen.

     

    Und wenn ein Unternehmen diese Löhne nicht zahlen kann,

    wegen Gewinneinbruch, dann ist das vollkommen OK.

    Aber wenn ein Unternehmen Gewinne macht und die Löhne drückt,

    dann sollte die Differenz zum ortsüblichen Lohn an die Arbeiter eigenklagt werden können + Strafe.

     

    Mindestlohnwettbewerb ist die beste Idee. Berlin und München passen nicht zusammen. Es geht darum, dass man von gleicher Arbeit in etwa das gleiche kaufen kann. Durch Preisunterschiede in Städten muss es auch andere Löhne geben.

     

    Trotzdem ein Mindestlohnmodell muss auf jeden Fall her,

    die Frage ist welches. Und wenn die Politiker am Schluss wieder das Sagen haben, dann werden Experten sowieso ignoriert oder man lässt den Lohn dann mal ein paar Jahre

    trotz galoppierender Inflation auf einem Niveau um die Wirtschaft mit billiger Arbeit zu beschenken.

  • D
    Dylan

    4,30 in Slowenien.

    Da kommen in Berlin bestimmt einige drunter.

    Aber dient ja der Volks-Wirtschaft...

  • T
    Toe

    Zwei kleine analytische Anmerkungen:

    Einige Länder ohne gesetzlichen Mindestlohn in der EU haben den gar nicht nötig, weil sie eine fast flächendeckende Gültigkeit von tariflich ausgehandelten Mindestlöhnen haben. Deutschland ist also sogar noch mehr in einer Außenseiterrolle.

     

    Der Vergleich der absoluten Höhe der Mindestlöhne zwischen den verschiedenen Regionen macht allerdings als Maßstab relativ wenig Sinne. Besser wäre, den Mindestlohn im Vergleich zum Durchschnittseinkommen zu sehen (mit Werten zwischen 30 und 50 Prozent) und zu betrachten, wie hoch der Anteil der Vollzeitbeschäftigten mit Mindestlöhnen ist (mit Werten zwischen 1 und 15 Prozent).

  • J
    Johannes

    Zu Beginn der Industrialisierung in Deutschland blieb den Arbeitgebern gar nichts anderes übrig, als über die Lohnpolitik dafür zu sorgen, dass sie überhaupt Arbeiter bekamen.

     

    Nicht nur die Lohnpolitik. Ludwigshafen Oggersheim beispielsweise ist eine von der BASF gebaute Arbeitersiedlung. Man musste also nicht nur dafür sorgen, dass die Leute genügend verdienten (Frauenarbeit war damals noch verpönt, Kinderarbeit ging mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht auch nicht mehr) sondern, was mindestens ebenso wichtig ist, dass die Leute überhaupt in erreichbarer Nähe zum Arbeitsplatz wohnen können.

     

    Des war ganz gewiss keine soziale Großtat, sondern die Grundvoraussetzung, um überhaupt Arbeiter erwerben zu können.

     

    Seitdem hat sich die Arbeitskultur gewaltig geändert. Pioniere wie die BASF haben die Infrastruktur geschaffen, von der andere Arbeitgeber längst profitieren, um nicht zu sagen schmarotzen. Das gilt natürlich nicht für alle Arbeitgeber. Inzwischen ist es auch selbstverständlich, dass in den unteren Einkommensschichten eine Frau mitarbeiten muss, um die Familie überhaupt durchringen zu können. Anders als im Mittelstandsfamilien hat das nichts mit Selbstverwirklichung der Frau zu tun. Die Erziehung der Kinder, bis hinein ins 20. Jahrhundert ausschließlich Angelegenheit der Eltern, wird mehr und mehr in staatliche oder kirchliche Hände gelegt.

     

    Gerade Letzteres galt noch in den sechziger Jahren als das Schreckgespenst des Sozialismus, Kinder, die in staatlichen Einrichtungen zu willigen und unkritischen Gefolgsleuten der staatlichen Doktrin erzogen werden. Vielleicht tue ich damit dem Kindertagesstätten Unrecht, ich habe jedoch den Verdacht, auch wenn ich mir die Forderungen gerade von Arbeitgeberverbänden und der inzwischen kaum noch voneinander unterscheidbaren so genannten großen Parteien nach Inhalten von Lehrplänen anhöre, dass es genau darum geht. Das Gegenteil des Menschen, der selbstverantwortlich in einer Demokratie auch den Staat mitgestaltet, scheint erwünscht.

     

    Der Staat, seit Beginn der Bundesrepublik überwiegend von den Unionsparteien in wechselnden Koalitionen mit kleineren Partnern geführt, hat dem Schmarotzertum vieler Arbeitgeber nicht etwa entgegengewirkt, sondern ausgerechnet während einer SPD geführten Bundesregierung mit Einführung von Hartz IV das Ganze noch sanktioniert. Der Staat bessert seitdem Löhne, die noch nicht einmal für das karge Existenzminimum ausreichen, auf das Existenzminimum auf.

     

    Das ebenso falsche wie asoziale Argument der Gegner eines gesetzlichen Mindestlohnes, dass durch einen Mindestlohn Arbeitsplätze verloren gehen würden, würde sich schnell als das entlarven, was es tatsächlich ist, nämlich eine Lüge, wenn nicht durch staatliche Unterstützung der Arbeitnehmer dennoch überleben könnte. Es ist wohl ganz klar, wenn in einer Region, in der es prinzipiell Arbeitsplätze gibt und deshalb auch die Mieten ziemlich hoch sind, das Leben nicht möglich ist, dann muss man wegziehen. Womit es auch keine Arbeitnehmer mehr für die Arbeitsplätze mit einer Bezahlung unterhalb des Existenzminimums geben würde.

     

    Das wird nirgendwo deutlicher als in der Gastronomie, die innerhalb der Touristengebiete überwiegend Saison Arbeitsplätze anzubieten hat. Arbeitgeber, die bei den in der Gastronomie üblichen geringen Löhnen nicht auch Logis anbieten, können offene Stellen nicht besetzen, während Arbeitgeber, die Kost und Logis anbieten, mit mindestens 200 Bewerbungen rechnen können. Ganz klar, wenn man sich mit dem Lohn noch nicht einmal ein möbliertes Zimmer leisten kann, vorausgesetzt, so etwas gibt es überhaupt in den touristisch attraktiven Gegenden, dann kann man dort auch nicht arbeiten, es ist schließlich nicht Sinn der eigenen Arbeit, sich nur für das notwendigste an Lebensunterhalt auch noch zu verschulden.

     

    Gegen Hartz IV mit der prinzipiellen Möglichkeit, ein zu geringes Einkommen auf ein Existenzminimum aufzubessern, wäre prinzipiell nichts zu sagen, wenn gleichzeitig ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt worden wäre. Doch das war wohl von der SPD nicht gewollt.

     

    Dann würde sich nämlich das aufbessern auf die kleinen selbständigen Existenz reduzieren, die zwar etwas Geld einbringen, nicht jedoch genug, um davon leben zu können. Oder die allein erziehende Mutter, die einen Halbtagsjob ausübt.

     

    Angesichts der gewaltigen Unterschiede beim teuersten Posten der Lebenshaltung, der Miete, müsste ein gesetzlicher Mindestlohn ähnlich der Beamtenbesoldung einen Ortsgebiets-Zuschlag enthalten. Inzwischen gibt es nämlich tatsächlich ganze Regionen, in denen leerstehende, völlig intakte Häuser abgerissen werden und andere Regionen, in denen selbst ein Einzimmerapartment mit den gerade angepeilten gesetzlichen Mindestlöhnen kaum noch zu finanzieren wäre. Geschweige denn eine Dreizimmerwohnung für eine Familie. In München, auch in Heidelberg und sicher noch einer ganzen Reihe von Städten wird man nach einer Dreizimmerwohnung, die mit dem, was nach Abzug von Arbeitnehmeranteil Sozialversicherung und Steuern noch übrig bleibt, lange und vergeblich suchen.

     

    Mir stinkt die staatliche Subventionierung von Arbeitgebern, die ihren Arbeitnehmern noch nicht einmal das Existenzminimum bezahlen, schon lange. Es ist kein Wunder, dass sich der Arbeitgeberpräsident gegen gesetzliche Mindestlöhne zur Wehr setzt.

  • M
    Marvin

    Gesetzlich wird der Mindestlohn ja ohnehin, warum also die Kommission & warum scheint man schon jetzt die 6,91 vorherzusehen / vorherzubestimmen?

     

    Nicht, dass es eine Farce-Berechnung wird, wie bei der Hartz-4-Erhöhung, deren Ergebnis ja auch im Vorfeld schon klar schien.

     

    Nun ja, das aber ist eben Deutschland, dass die "ArbeitgeberInnen" mitentscheiden dürfen, welcher Lohn gerecht, nein, welcher Lohn knapp über der Grenze des Menschenunwürdigen liegt.

     

    Ist es nicht viel logischer, sich an Frankreich zu orientieren, bedenkt man, dass Deutschland sich doch unter den reichsten Ländern der Erde im Grunde immer in einer Spitzenposition sieht?

     

    Ich denke, nun wird man versuchen, diesen Mindestlohn gering zu halten, um 1. der Opposition die Themen aus der Hand zu nehmen und 2. Niedriglöhne trotzdem noch zu ermöglichen.

     

    Es ist typisch schwarz-gelb:

    Die Aussetzung der Wehrpflicht, nicht wegen deren Unmenschlichkeit, sondern zwecks Umstrukturierung Verteidigungs- zur kriegsführenden Armee.

    Der Ausstieg aus der Atom-Kraft, weil man ganz plötzlich gemerkt haben will, dass das Ganze vielleicht doch nicht so sicher sein könnte.

     

    Im Prinzip greift die Koalition diese Dinge jedoch nicht aus Überzeugung auf & führt sie deshalb auch nicht überzeugend durch: Die Wehrpflicht wurde nicht abgeschafft (Forderung Grüne/Linke), sondern ausgesetzt. Die AKWs in Deutschland werden vielleicht, wahrscheinlich ihr Ende finden, aber deutsches "GAU-Know-How" wird weiter exportiert.

    Und anstelle eines vernünftigen Mindestlohn, die Zahl von 10 Euro hat sich längst in- und außerhalb der Linken durchgesetzt, soll es ein Mini-Mindestlohn werden. Sie geben erst nach, wenn sie nur noch die Wahl haben "Entweder machen wir jetzt die Mini-Variante oder Rot-Grün nach der Wahl den größeren Wurf".

     

    Und das ist unaufrichtig & sollte keine Bewunderung hervorrufen. Wo bleibt die Entschuldigung für jahrzehntelange Diffamierung der KernkraftgegnerInnen, der Kriegsdienstverweigernden & derer, die vernünftige Löhne forderten?

     

    Nein, diese Haltung verdient keinen Beifall.

  • H
    Hans

    Niedriglöhne führen nicht zu mehr, nicht zu zusätlicher Beschäftigung - so rum ist es besser formuliert. Wahrscheinlich könnte Deutschland 9 oder 9,50 einführen, ohne großen Beschäftigungsverlust. Das eigentliche Problem ist doch das Überangebot von Arbeitskräften. Obwohl vom Boom, vom Beschäftigungswunder gesprochen wird, gibt es wahrscheinlich zwischen 6 und 9 Mio. Menschen, die arbeitsfähig sind, aber nicht arbeiten. Dazu kommt noch eine große Zahl X - Leute, die eine andere Arbeit suchen und sich bewerben, obwohl sie arbeiten. Und bei diesem Szenario ist es nicht wahrscheinlich, dass ein Mindestlohn zum Ende von Arbeitsplätzen führt.