Mindestlohn-Debatte: Scholz zeigt klare Kante
Der Postdienstleister TNT lehnt den beschlossenen Post-Mindestlohn ab. Eine Sonderregelung wird das Arbeitsministerium aber nicht genehmigen.
BERLIN taz Bescheidenheit ist in diesen Tagen nicht die Zier der SPD. Im Gegenteil: Man verlangt und fordert, laut und deutlich. Dinge, die sonst wochenlang hin und her geprüft werden, sind nach wenigen Tagen entschieden, auch wenn sie dem Koalitionspartner nicht passen. Stefan Giffeler, der Sprecher von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD), äußerte gestern "ausgeprägte Zweifel", dass der Mindestlohn der Postfirma TNT Realität werde. Scholz wies seinen CSU-Kollegen Wirtschaftsminister Michael Glos, der TNT unterstützt, damit unmissverständlich in die Schranken.
TNT und rund 40 andere Postfirmen haben über ihren Arbeitgeberverband einen Antrag bei Scholz eingereicht, um einen niedrigen Mindestlohn von 6,50 Euro pro Stunde durchzusetzen. Der Bundestag hat anderes beschlossen. Nach dem Willen der meisten Abgeordneten von Union, SPD, Grünen und Linken soll die Untergrenze bei minimal 8 Euro liegen. Kein Briefträger oder Postdienstleister in Deutschland dürfe weniger bekommen. Die teilweise zur Otto Gruppe aus Hamburg gehörende TNT und die PIN AG des Springer-Konzerns wollen das aber nicht akzeptieren.
"Der Antrag von TNT tangiert unsere Arbeit nicht", sagt der Sprecher von Scholz. Das Ministerium will weiterhin dem vom Bundestag beschlossenen höheren Mindestlohn Gesetzeskraft verleihen. Schon heute oder morgen könnte Scholz den TNT-Antrag offiziell ablehnen. Das zentrale Argument, das TNT für den eigenen Mindestlohn ins Feld führt, hält das Arbeitsministerium für fragwürdig. TNT erklärt, in einer speziellen Branche zu arbeiten, die zwar auch Briefe transportiere wie die Deutsche Post AG, dies aber auf intelligentere Weise mit viel mehr Service bewerkstellige. Diese "Mehrwertpostdienste" dürfe man nicht mit der schnöden Arbeit der Post AG in einen Topf werfen - deshalb sei es gerechtfertigt, einen eigenen niedrigeren Mindestlohn einzuführen. "Nein", sagt dagegen das Ministerium: Brieftransport sei Brieftransport. Es gebe keinen Grund, zwei unterschiedliche Mindestlöhne einzuführen.
Auch die grundsätzliche Position des neuen Arbeitsministers ist klar und schnörkellos. "Der Mindestlohn für alle kommt", so Scholz. Manchen in der Union geht dieses Selbstbewusstsein der SPD unendlich auf die Nerven. Einen "Dammbruch" befürchtet Wirtschaftsminister Glos. Mindestlöhne hält der Müllermeister aus Unterfranken für dirigistische Eingriffe in den freien Lauf der Wirtschaft. Nur in Ausnahmefällen dürfe man dem Koalitionspartner so etwas zugestehen. Wobei auch Glos weiß, dass die große Koalition den "Dammbruch" gemeinsam beschlossen hat.
Gerne zitiert die SPD das Papier des Koalitionsausschusses vom Juni dieses Jahres. Zum einen waren sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Scholz Vorgänger Franz Müntefering (SPD) einig, dass "weitere Branchen" einen Mindestlohn bekommen könnten. Seitdem macht die SPD immer mal wieder einen neuen Vorschlag. Mittlerweile sind neben der Postbranche neun weitere Wirtschaftsbereiche im Gespräch, darunter die Fleischindustrie, die Landwirtschaft und der Einzelhandel. In Kürze dürfte in der Zeitarbeitsbranche das Tauziehen beginnen, das Union und SPD bei der Post gerade hinter sich gebracht haben. Die SPD kann sich dabei als Partei der Gerechtigkeit positionieren, der Union fällt die undankbare Aufgabe der Bremserin zu.
Damit nicht genug: Im Beschluss vom Juni steht zudem, dass man ein altes Gesetz von 1952 renovieren will, um auch dort den Mindestlohn einzuführen, wo es keine wirksamen Tarifverträge mehr gibt. Das betrifft mittlerweile große Teile der Wirtschaft. "Einen Dammbruch bei den Mindestlöhnen", sieht deshalb auch DGB-Chef Michael Sommer. Der Unterschied zu Glos besteht nur darin, dass Sommer den "Dammbruch" begrüßt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste