Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln: Weg mit dem Überfluss
Ilse Aigner will mit ein bisschen bunter Aufklärung gegen die Wegwerfkultur angehen. Doch gegen Lebensmittelverschwendung hilft nur eine radikale Lösung.
Zum Beispiel Nudeln im Supermarkt um die Ecke. Abgepackt in Plastik, mindestens haltbar noch zwei Jahre. Honig, im Glas, mindestens haltbar ein Jahr. Knäckebrot ein halbes Jahr, Frischkäse einen Monat, Milch vier Tage. Und dann?
Was bis zu seinem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht aufgegessen oder ausgetrunken ist, landet in der Regel im Müll. Das zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums. Demnach wirft jeder vierte Verbraucher einmal die Woche Lebensmittel weg, jeder fünfte immerhin einmal im Monat. Wer Lebensmittel wegwirft, sei es hin und wieder oder häufig, gibt als häufigsten Grund an, dass das Haltbarkeitsdatum abgelaufen sei oder die Produkte verdorben waren.
Noch deutlicher ist das Problem in den Supermärkten. Dass ein Händler die Waren neu etikettiert und kurz vor Ablauf des Datums günstiger verkauft, ist selbst in kleinen Läden die Ausnahme. Meist gilt sowieso das Prinzip des vorauseilenden Gehorsams: Produkte werden schon Tage vor dem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums aussortiert und entsorgt. Auf dass der Verbraucher bloß nicht in die Nähe von beinahe abgelaufenen Lebensmitteln komme. Die daraus resultierenden Lebensmittelberge, die in den Müllcontainern landen, waren in den vergangenen Monaten in diversen Kino- und Fernsehdokumentationen zu besichtigen.
Insofern ist es nur folgerichtig, dass die CSU-Verbraucherministerin Ilse Aigner eine Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung ins Leben ruft, mit dem Ziel, die Berge essbaren Mülls zu verringern. Doch ein Logo zu entwerfen, Flyer zu drucken und sich gemeinsam mit dem Handel hinzustellen und zu hoffen, mit ein bisschen bunter Aufklärung über das Mindesthaltbarkeitsdatum werde sich das Problem schon lösen, reicht nicht. Es ist vielmehr eine typische Aigner-Aktion: Versuchen wir mal den Weg des geringsten Widerstandes und setzen beim Verbraucher an, anstatt dort, wo es wehtut, nämlich bei der Industrie.
Schlechtes Gewissen
Denn das Mindesthaltbarkeitsdatum ist – das darf man nicht vergessen – eine Vorschrift ganz im Sinne der Wirtschaft. Dazu gehört auch, dass zu vielen Verbrauchern tatsächlich nicht klar ist, dass ein Mindesthaltbarkeitsdatum wirklich etwas mit „mindestens“ zu tun hat. Sie halten ein Produkt nach dem verstrichenen Zeitpunkt fälschlicherweise für nicht mehr essbar, werfen es in den Müll – und kaufen dann ein neues. Immerhin geschieht das Wegwerfen angeblich schlechten Gewissens, auch das hat die Umfrage ergeben, nur ändert das am Ergebnis nichts.
Verschärft wird das Problem noch durch die Hamstermentalität: Wer auf Vorrat kauft und dann die Packung hinten im Schrank oder Kühlschrank vergisst und wegwirft, hat mehr gekauft und ausgegeben als nötig. Super für die Industrie, das kurbelt den Umsatz an. Schlecht für den Geldbeutel und die Umwelt, durch zusätzlichen Ressourcenverbrauch.
Konsequent wäre eine radikale Lösung: Mindesthaltbarkeitsdatum abschaffen. Nein, das würde nicht dazu führen, dass Händler nun regelmäßig verdorbene Milch und vergammelten Käse verkaufen – zumindest nicht in größerem Maß, als das jetzt schon der Fall ist. Denn für verderbliche Produkte, deren Verzehr nach einer gewissen Zeit zu gesundheitlichen Problemen führen könnte, ist ein Verbrauchsdatum nötig. Das gibt es bereits bei Fleisch oder Fisch, die nach dem Ablauf gar nicht mehr verkauft werden dürfen und auch nicht mehr gegessen werden sollten. Jeder, der weiß, wie eine Salmonellenerkrankung verläuft, wird sich tunlichst daran halten.
Was wegfallen würde? Das Überflüssige. Mindesthaltbarkeitsdaten auf Mineralwasser zum Beispiel. Dort geben die Hersteller mitunter nur ein halbes Jahr an. Und bei Salz, Kaugummi oder Wein geht es schließlich jetzt schon ohne.
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