Minderjährigen angeworben?: Polizei streitet V-Mann Einsatz ab
Im Innenausschuss des Schweriner Landtags bestreitet das Innenministerium, dass die Polizei einen Minderjährigen als V-Mann verpflichtete. Der sei nur Informant gewesen.
Der Anwalt des heute 29-Jährigen, Peter-Michael Diestel, hatte vergangene Woche öffentlich gemacht, dass sein Mandant zwischen 2003 und 2014 als V-Mann der Polizei tätig gewesen sei – zum Zeitpunkt der Anwerbung sei er erst 15 Jahre alt gewesen. Gegen Bargeld soll er zunächst über Drogengeschäfte in seinem Wohnort berichtet haben, später dann als Mitglied der Linksjugend Solid über Proteste und Gegner des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm.
Bis zu seinem Ausstieg 2014 sei er anschließend unter Decknamen als V-Mann im Bereich krimineller Rockerbanden in Rostock eingesetzt gewesen. Dem Verlangen seines V-Mann-Führers, Mitglied der Hells Angels zu werden, wollte er seinem Anwalt zufolge dann jedoch nicht mehr nachkommen und nabelte sich ab. Derzeit sitzt er wegen Betruges im Gefängnis.
Ein Vertreter des Ministeriums widersprach dieser Darstellung im Innenausschuss. Demnach habe sich der Betroffene als 16-Jähriger selbst an die Polizei gewandt und sei seitdem als Informant geführt worden. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn Informanten geben laut Definition nur Informationen an die Beamten weiter, arbeiten aber nicht dauerhaft für die Polizei.
Anders als bei V-Leuten schließt die Richtlinie, die den Einsatz regelt, nicht aus, auch Minderjährige als Informanten einzusetzen. Erst als der Mann 2006 volljährig wurde, habe er sich wieder an die Polizei gewandt und sei dann bis 2014 als V-Person geführt worden. Aus Sicht des Ministeriums war das Vorgehen daher rechtlich in Ordnung.
Peter Ritter, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, ist mit den Informationen des Ministeriums unzufrieden: „Wir müssen uns auf das verlassen, was wir da erfahren.“ Die Parlamentarier hätten kaum Kontrollmöglichkeiten, um den Inhalt der Akten zu überprüfen, sagt Ritter.
Rechtliche Grauzone
Der Einsatz des V-Mannes habe jedoch „deutlich in einer rechtlichen Grauzone“ stattgefunden: Die rechtliche Grundlage sei nur „eine Richtlinie, die man einhalten kann, oder eben nicht“. Und wenn sie nicht eingehalten werde, würde dies im Zweifel nicht in den Akten vermerkt.
Tatsächlich wäre es keine Straftat, wenn die Polizei den Minderjährigen als V-Mann eingesetzt hätte, bestätigen sowohl die Staatsanwaltschaft Rostock als auch Betroffenen-Anwalt Diestel. Der Verstoß gegen die Richtlinie wäre nur ein dienstrechtliches Vergehen, das polizeiintern verfolgt werden müsste – und selbst das sei mittlerweile verjährt, sagt Diestel.
Anwalt Peter-Michael Diestel
Bei den verantwortlichen Beamten handele es sich „um Polizisten, die im Übereifer gehandelt“ hätten. Sein inhaftierter Mandant habe wegen seiner V-Mann-Tätigkeit im Gefängnis eine „stark reduzierte Lebenserwartung“.
In der JVA Bützow bei Rostock war die frühere Spitzeltätigkeit aufgeflogen. Nach Angriffen von Mitgefangenen war der Mann im Januar in eine JVA in Süddeutschland verlegt worden. Doch auch das biete keinen Schutz, sagt sein Anwalt. So etwas spreche sich herum: „In einer deutschen JVA geht es V-Leuten an den Kragen. Das weiß jeder.“ Nun verlangt er Hilfe, sein Mandant sei unter den Augen des Staates auf die schiefe Bahn geraten.
Mit Linke-Politikern in Heiligendamm
Im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm war der Ex-Spitzel auch mit Politikern der Linken gemeinsam unterwegs. Dazu habe er jedoch keinen Auftrag seiner Kontaktbeamten bei der Polizei gehabt, hieß es im Innenausschuss. Das Rostocker Polizeipräsidium will sich derzeit nicht weiter zu der Angelegenheit äußern, teilte eine Sprecherin mit. Auch nicht zu dem Umstand, dass sich der Mann laut Ritter während des Gipfels mit seinem V-Mann-Führer getroffen haben soll. Worum es bei dem Treffen ging und ob womöglich Informationen über Proteste und Gipfelgegner geflossen sind, ist unklar.
Auch das Innenministerium weicht dieser Frage aus. Ein Sprecher teilt lediglich mit, dass keine Informationen zu Parteien oder ihren Organisationen „unaufgefordert“ übermittelt worden seien. Rechtsanwalt Diestel sagt, er wisse zwar, welche Informationen überliefert wurden, wolle dazu aber nichts sagen.
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