Minderheitsregierung in Thüringen: Konfrontation und Kooperation
Die rot-rot-grüne Koalition bringt ihren Haushalt durch – mithilfe der oppositionellen CDU. Bestandsaufnahme einer besonderen Konstellation.
Schon am 20. Januar hatten sich Linke, SPD, Grüne und die eigentlich oppositionelle CDU in 22 Verhandlungsstunden auf einen Kompromiss geeinigt. Die Konstellation punktueller Zusammenarbeit zwischen einer Minderheitsregierung und einer Oppositionspartei gilt in der politischen Geschichte der Bundesrepublik als beispiellos.
Vor ziemlich genau zwei Jahren, am 5. Februar 2020, stand die Regierungsfähigkeit Thüringens allerdings auf der Kippe. In zwei Wahlgängen war der seit 2014 amtierende Bodo Ramelow (Linke) daran gescheitert, sich erneut zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen.
Stattdessen gelangte FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich im dritten Wahlgang ins Amt – mit den Stimmen der AfD, die ihren Kandidaten plötzlich fallen ließ, und nach gedankenlosem Stimmverhalten der CDU. Das heftige Echo über Thüringen und die Bundesrepublik hinaus zwang ihn schnell zum Rückzug und führte letztlich zur “Stabilitätsmechanismus“ genannten Vereinbarung zwischen Rot-Rot-Grün und CDU.
Weiter ohne Vereinbarung
Diese diente Ende 2020 schon einmal der Verabschiedung eines Haushalts und lief dann aus. Die geplante Selbstauflösung des Landtages mit Zweidrittelmehrheit und Neuwahlen parallel zur Bundestagswahl 2021 aber scheiterten an vier Verweigerern in der CDU-Fraktion.
Doch auch ohne formale Vereinbarung wirkte die CDU nun erneut am Haushaltkompromiss mit. „Das ist ein Haushalt für Thüringen, nicht für Rot-Rot-Grün“, wahrte Fraktionschef Mario Voigt in der Debatte das Gesicht.
Womöglich erhofft die CDU sich damit schon Profilierungschancen mit Blick auf die 2024 anstehenden Landtagswahl. Eine INSA-Umfrage vom Dezember des Vorjahres sieht die Partei nur noch bei 15 Prozent. Auf entsprechende Nachfrage reagierte Voigt ausweichend. Nach den „Häutungsprozessen“ von 2021 formuliere man nun selbstbewusster, was sich nach Meinung der Union im Lande ändern müsse, sagte er der taz. „Opposition der Mitbestimmung“ nennt das die Landes-CDU.
Und tatsächlich nutzt die Union die Abhängigkeit der Minderheitsregierung von CDU- oder FDP-Stimmen. So setzte sie eine pauschale Ausgabenkürzung – die sogenannte Globale Minderausgabe – von 330 Millionen Euro durch und punktete auf ihren Lieblingsfeldern kommunale Finanzausstattung, ländliche Räume, innere Sicherheit, Familien- und Wirtschaftspolitik. Auch bremste sie das geplante Landesaufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus.
„Ein einziges Gewürge“
Dem Fraktionsvorsitzenden der Linken Steffen Dittes fällt auf, dass die CDU zäh, aber konstruktiv verhandelt, nach außen aber ein „Schauspiel“ inszeniere. Gemeint sind Propagandaoffensiven wie die Website „Thüringer Heimat“, wo die Union ähnlich wie die Neue Rechte den Eindruck eines bevorstehenden Untergangs des Landes erweckt. Ebenso den, sie habe RRG erst das Sparen und den Umgang mit Geld beibringen müssen. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, keine Ziele und Ideen mehr für Thüringen zu haben.
SPD-Fraktionschef Matthias Hey ist deshalb von der Konstellation nicht begeistert: Zielgerichtete Gestaltung sei so kaum möglich, man einige sich nur noch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. „Ein einziges Gewürge“ seien die kurz vor dem Abbruch stehenden Haushaltverhandlungen gewesen. Das Argument, das Ergebnis repräsentiere nun breitere Bevölkerungsschichten, nannte er „Demokratieromantik“.
Dennoch würdigten Hey und der Linken-Fraktionsvorsitzende Steffen Dittes die beachtliche Einigung. Der Haushaltbeschluss wird überdies flankiert von einer Art gemeinsamer Agenda auf verschiedenen Politikgebieten in Gestalt von Entschließungsanträgen – erstaunlich, angesichts traditioneller Animositäten zwischen CDU und Linken oder Grünen.
Dittes sprach deshalb von einem „Zeichen der Handlungsfähigkeit“, das bei Bürgern mehr Vertrauen wecken könnte. Als ein Zukunftsmodell für die Bundesrepublik wollte er diese Mischung aus Konfrontation und Vierer-Kooperation dennoch nicht empfehlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos