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■ Milutinović gewinnt offenbar die Präsidentschaftwahlen in SerbienUnd alles bleibt, wie es war

In einem waren sich alle unabhängigen Beobachter in Serbien noch vor der Stichwahl einig: Falls der ultra-nationalistische Radikalenführer Vojislav Seselj siegen sollte, dann wird die Beteiligung unter den notwendigen fünfzig Prozent bleiben und die Wahlen werden wiederholt. Falls jedoch der Kandidat der „Linken Koalition“, der persönlicher Freund von Slobodan Milošević und jugoslawische Außenminister Milutinović vorn liegen sollte, dann werden sich in der undurchschaubaren zu 90 Prozent von Albanern bewohnten serbischen Provinz Kosovo schon einige Stimmen finden lassen, um die fünfzig Prozent Grenze zu überschreiten.

Und tatsächlich – nachdem Milutinovićs Sieg gesichert war, soll die Wahlbeteiligung während der Auszählung von den letzten acht Prozent der Stimmen plötzlich und wundersamerweise auf 50,52 Prozent gestiegen sein. Die Milošević-Sozialisten jubeln, der Bürgerschreck Seselj ist auf seinem triumphalen Marsch auf den serbischen Thron aufgehalten worden. Und das ist schon alles.

Denn für die serbische Politik bedeutet das vorübergehende Ende der Wahlqual rein gar nichts. Mit oder ohne Präsidenten bleibt Serbien ein Outcast; abgestoßen von allen internationalen Organisationen. Doch ohne Hilfe aus dem Ausland kann die ruinierte Wirtschaft nicht angekurbelt werden. So wird der rasend sinkende Standard der schon verarmten Bevölkerung nicht verbessert werden können.

Serbien hat seit Monaten weder eine Regierung noch einen Gouveneur der Nationalbank, es könnte genausogut (oder vielmehr schlecht) auch ohne Präsidenten weiterexistieren. Zumal der Präsident in spe Milutinović nur eine Marionette des obersten Drahtziehers Milošević ist.

Wie ein Bataillon hat sich das bestens organisierte sozialistische Establishment in den Büros aller staatlichen Institutionen eingeschanzt. Es erhält seine Befehle vom obersten Kommandanten, Slobodan Milošević, und regiert das Land. Serbien hat in den letzten Jahren überlegen den europäischen Rekord in der Anzahl der „demokratischen“ Wahlen gebrochen – nur verändert hat sich rein gar nichts. Demokratische Institutionen wie Parlament, Bürgerkammer, Kammer der Republiken zieren zwar den Staat, treten jedoch meistens nicht einmal zusammen. Und wenn, dann zeigen sie sich als regierungsunfähig. Slobodan Milošević hat längst bewiesen, daß er sie nicht nötig hat, daß sie das Leben nur unnötig komplizieren. Andrej Ivanji

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