: Militärische Siege beflügeln Eriwan
Türkische Vorwürfe werden als „Provokation“ bezeichnet/ Aserbaidschan will aus GUS austreten ■ Aus Moskau K.-H. Donath
Für den gestrigen Abend oder die Nacht hatte Armeniens Präsident Ler Petrosjan eine Fernsehansprache angekündigt. Darin wollte er offiziell zu den Vorwürfen aus Aserbaidschan und der Türkei Stellung beziehen, Eriwan hätte eine militärische Offensive gegen die zu Aserbaidschan gehörige Exklave Nachitschewan eröffnet. Aus gut informierten Kreisen in der armenischen Hauptstadt verlautete, derartige Anschuldigungen seien „reine Provokation“. Massive Angriffe auf das von einer türkischsprachigen Mehrheit bewohnte Gebiet an der Grenze zum Iran hätten nicht stattgefunden. Wie in dem Konflikt zwischen Baku und Eriwan seit nunmehr vier Jahren üblich, schiebt die eine der anderen Seite Schuld für das Aufkeimen der Gewaltakte in die Schuhe. Eriwan behauptete, nur auf das Feuer aus Nachitschewan geantwortet zu haben.
Zudem wird in Eriwan vermutet, daß der Präsident der Exklave Gaidar Alijew ein Interesse an derartigen Gerüchten hätte. Dadurch könne die Türkei stärker in den Konflikt hineingezogen werden. Alijew, ein altgedienter Kommunist, scheiterte kürzlich bei dem Versuch, auf dem Ticket der aserbaidschanischen Opposition — die letzte Woche in Baku die Herrschaft übernommen hat — Präsident Aserbaidschans zu werden.
Wenig wäre damit gewonnen, zum jetzigen Zeitpunkt einen alleinigen Aggressor im transkaukasischen Konflikt auszumachen. Allerdings konnte die armenische Seite in den Kämpfen, die 1988 um die von Armeniern bewohnte Enklave Berg- Karabach entbrannten und mehrere tausend Todesopfer forderten, in den letzten beiden Monaten erstaunliche militärische Erfolge erzielen. Die Armenier gehen bei ihrer Eroberung anscheinend nicht zimperlicherer vor, als die noch vor kurzem für ihre Brutalität verurteilten Aseris. Die militärischen „Siege“ haben in Eriwan innenpolitische Meinungsverschiedenheiten gänzlich verstummen lassen.
Ein Beobachter wies darauf hin, daß die Bereitschaft der Bevölkerung, eine endgültige Lösung des Konfliktes auch mit militärischen Mitteln zu erzwingen, gewachsen sei. Schon vor längerer Zeit hat Eriwan mobil gemacht.
Nicht auszuschließen ist, daß das Taschkenter Abkommen zwischen sechs GUS-Staaten über gegenseitigen militärischen Beistand die „Kühnheit“ Eriwans befördert hat. Aserbaidschan trat dem Pakt nicht bei. Bakus neuer Mann, Abulfaz Elchibey, stellte vielmehr gegenüber der 'Komsomolskaja Prawda‘ fest, daß Baku kein Mitgliedsstaat der GUS bleiben und alle bisher unterzeichneten Vereinbarungen rückgängig machen werde.
Zugleich gibt es jedoch über die Rolle der GUS-Streitkräfte in der Krisenregion Unklarheiten. Wiederholt hatten beide Seiten der ehemaligen „Roten Armee“ vorgeworfen, dem Gegner tatkräftig unter die Arme zu greifen. Die zuständigen Militärs stritten dies auch gestern noch ab. Von Freiwilligkeit könne keine Rede sein. Beide Seiten hätten sich geholt, was sie brauchten.
Armenier wie Aseris können die Geschichte bemühen, um ihren Anspruch auf die 5.500 Quadratkilometer Nachitschewan zu legitmieren. Wie in den meisten Gebieten dieser Region lebten hier Armenier und Aseris. Die Grenzfrage wurde 1921 im türkisch-sowjetischen Grenzvertrag geregelt. Auf Drängen der Türkei wurden damals Berg-Karabach und Nachitschewan als autonome Gebiete Aserbaidschan zugeschlagen. Erst 1990 erklärte sich Nachitschewan auch von Aserbaidschan unabhängig. Armenier haben diese Region seit langem verlassen.
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