Migrationsdebatte in Großbritannien: Auf fünf Jahre keine Einwanderer
Die rechte Ukip fordert radikale Maßnahmen gegen Immigranten, wie einen Einwanderungsstopp. Das setzt die regierenden Konservativen unter Druck.
DUBLIN taz | Großbritannien soll sich fünf Jahre lang keine Immigranten mehr ins Land lassen, um in Ruhe eine neue Einwanderungspolitik zu entwickeln. Das verlangte Nigel Farage, Chef der rechten britischen United Kingdom Independence Party (Ukip), in einem Interview mit der BBC. Stattdessen solle man wie in Australien befristete Arbeitsgenehmigungen ausstellen. Die große Mehrheit der Einwanderer seit 2004 sei für die Gesellschaft von keinem Nutzen gewesen, fügte der 49-Jährige hinzu.
Seit 1. Januar herrscht in der EU Niederlassungsfreiheit auch für Rumänen und Bulgaren. „Weil unser Mindestlohn achtmal höher ist als ihrer, hätten wir den Bulgaren und Rumänen sagen müssen, dass wir keine bedingungslos offene Tür haben“, sagte Farage. Für einen allgemeinen Einwanderungsstopp würde er auch ein Absinken des Wohlstands in Großbritannien in Kauf nehmen.
„Fragte mich einer, ob weitere fünf Millionen Menschen nach Großbritannien kommen sollen und wir alle dadurch etwas reicher würden, würde ich antworten, dass ich bevorzuge, wir würden nicht etwas reicher“, sagte er. „Mir wäre es lieber, junge Briten hätten eine realistische Chance auf einen Job. Ich finde, die soziale Seite wichtiger als rein marktwirtschaftliche Überlegungen.“ Seine Vorschläge, so räumte Farage ein, würden Großbritanniens Austritt aus der EU voraussetzen. Aber das ist ja ohnehin das langfristige Ziel der Ukip.
Farage hat bei seinen Anhängern einiges wiedergutzumachen. Die mussten vorige Woche im BBC-Radio anhören, wie ihr Parteiführer von der Regierung verlangte, den „Geist der UN-Flüchtlingskonvention von 1951“ zu ehren und syrische Flüchtlinge ins Land zu lassen. „Ich finde, Flüchtlinge sind eine ganz andere Sache als Wirtschaftsmigranten“, hatte er gesagt. David Cameron lehnte irritiert ab. Man stelle stattdessen 500 Millionen Pfund für humanitäre Hilfe zur Verfügung, sagte der Premierminister.
Kritik an Farage
//de-de.facebook.com/TheUKIP:Auf der Facebook-Seite der Ukip machten die Parteimitglieder ihrem Ärger über den Chef Luft. Er solle sich das noch mal gut überlegen, meinte einer, sonst brauche er sich gar nicht mehr sehen zu lassen. Ein anderer meinte, Farage sei offenbar auch nicht anders als andere abgehobene Politiker. Farage ist 1992 aus der Tory-Partei ausgetreten, nachdem diese den EU-Verträgen von Maastricht zugestimmt hatte.
Er war einer der Gründer von Ukip, die am Anfang jedoch lediglich ein Sammelbecken für europaskeptische Tories war und bei Wahlen keine Rolle spielte. Erst bei den Europawahlen 2009 gelang der Partei unter Führung von Farage, seit 2006 Parteichef, ein Durchbruch: Die Ukip gewann zwölf Mandate. Bei Umfragen liegt sie inzwischen bei 16 bis 17 Prozent der Wählerstimmen.
Bei den Tories geht deshalb die Angst um. Vor den Europawahlen im Mai sind sie zerstrittener denn je in der Frage, wie man mit der Ukip umgehen solle. Cameron, der die Ukip einmal als „Ansammlung von Trotteln, Verrückten und verkappten Rassisten“ bezeichnet hat, will die EU-Regelungen über Migration reformieren. Er will, dass das freie Niederlassungsrecht nur für Menschen aus Ländern gilt, deren Bruttoinlandsprodukt dem EU-Durchschnitt entspricht.
Wähler im Wechsel
Der rechte Flügel meint dagegen, man müsse bei den Themen Einwanderung und EU noch viel schärfer auftreten, um keine Wähler an die Ukip zu verlieren. Inzwischen haben sich aber auch ein paar „nette Tories“, wie der Guardian die „Modernisierer“ nennt, zu Wort gemeldet. Sie argumentieren, dass die rechten Wähler in diesem Fall erst recht zur Ukip abwandern und man darüber hinaus die demokratische Mitte verliere.
„Wir müssen uns zwar die Besorgnis der Wähler anhören“, sagte Robert Buckland, der Abgeordnete für Swindon, „aber wir dürfen nicht der Ukip nacheifern und uns nach der neuesten Meinungsumfrage oder Boulevardschlagzeile richten.“ Er mache sich große Sorgen, dass diejenigen Tories, die aus der EU austreten wollen, in der Partei die Oberhand gewinnen.
Camerons früherer Redenschreiber Danny Kruger beklagte, dass die Idee von der „großen Gesellschaft“, die Cameron bei seinem Amtsantritt beschworen habe, immer mehr vom Kampf gegen „Einbrecher und Einwanderer“ verdrängt werde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt