Mieter protestieren: Bäume stehen Denkmalschutz im Weg
Im Jahr 2008 ist die Siemensstadt zum Unesco-Welterbe ernannt worden. Jetzt sollen Bäume gefällt werden, um eine Siedlung in den Zustand der 30er Jahre zu versetzen
Auf den historischen Fotos der Goebelstraße und des Jungfernheidewegs in der Siemensstadt sieht alles ein wenig kahl aus. 1930 parkten noch keine Autos auf der Straße, und viele Bäume und Sträucher, die heute vor den Zeilenbauten stehen, fehlen. Weil die Großsiedlung Siemensstadt als beispielhaft für den Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg gilt, wurde sie zusammen mit fünf anderen "Siedlungen der Berliner Moderne" 2008 zur Unesco-Welterbestätte ernannt. Jetzt sollen die Außenbereiche der Goebelstraße und des Jungfernheidewegs in das ursprüngliche Erscheinungsbild zurückversetzt werden, um die Vorgaben der Unesco zu erfüllen. Dagegen haben AnwohnerInnen 300 Unterschriften gesammelt, um für den Erhalt von Bäumen, Sträuchern und einem Bolzplatz zu kämpfen.
"Ich bin hier her gezogen, weil ich ins Grüne wollte", sagt Sabina Kohlstedt, die seit elf Jahren in der Goebelstraße wohnt und mit fünf NachbarInnen Unterschriften gegen die Planungen sammelt. 34 Bäume sollen in der Goebelstraße und im Jungfernheideweg gefällt werden - sie alle weisen nach Angaben des Grünflächenamts Gesundheitsschäden auf. "Wenn die Bäume krank sind, ist das okay", findet Kohlstedt. Aber adäquate Neupflanzungen seien wichtig, schließlich verlören Vögel und Insekten sonst ihren Lebensraum. "Außerdem ist es nicht schön, wenn das Straßenbild so kahl ist wie in den 30er Jahren."
Der Baumschützerin liegen besonders die 23 Birken auf der südlichen Seite der Goebelstraße am Herzen, die den Blick auf die sonst graue Häuserfront verschönern. Zwölf von ihnen will das Grünflächenamt fällen. Stattdessen sollen 32 Apfeldornbäume in Vierergruppen vor den Hauseingängen platziert werden, so wie früher. "Selbst wenn mehr Bäume hinzukommen, wird es nicht mehr so grün sein", glaubt Kohlstedt. "Schließlich handelt es sich um Jungbäume, die in größeren Abständen zueinander stehen als die Birken."
Auch um den Bolzplatz hinter den Häuserblöcken bangt Kohlstedt. Der soll angeblich abgerissen werden. Manuela Damianakis, Sprecherin der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen AG, der das Grundstück gehört, beschwichtigt: "Wir entfernen lediglich das Gitter um den Platz. Es wird eine Bolzwiese."
Den Bürgerprotest nicht ganz nachvollziehen kann Dagmar Elbrandt, Leiterin des Fachbereichs Grünflächen/Landschaftsplanung im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Die neuen Apfeldornbäume würden kleine Beeren tragen, eine ideale Nahrung für Vögel. Außerdem blühten die Bäume im Frühjahr in roten Farben. "Die Optik wird zum Positiven verändert."
Zudem werde kein einziger gesunder Baum gefällt. "Das wollten wir nicht", so Elbrandt - obwohl es das Landesdenkmalamt ursprünglich gefordert hatte, um das Straßenbild der Siemensstadt noch mehr an den Zustand der 30er Jahren anzupassen. Jetzt bleiben die gesunden Birken zwar stehen, sollen aber nicht erneuert werden, wenn sie in einigen Jahren von alleine sterben sollten. Um die 34 Fällungen auszugleichen, plant das Grünflächenamt Neupflanzungen. "Aufgrund der Bürgerproteste pflanzen wir jetzt 60 anstatt 45 neue Bäume", sagt Elbrandt. Auch die meisten Sträucher vor den Häusern sollen nicht, wie anfangs geplant, entfernt werden. "Wir werden nur die Hecken stutzen und zurechtschneiden, die zu groß geworden sind."
Rund 500.000 Euro verbaut das Grünflächenamt in der Jungfernheide, der Goebelstraße und auf dem Goebelplatz. Das Geld stammt vom Land Berlin und aus dem Investitionsprogramm Nationale Unesco-Welterbestätten des Bundes. In den vergangenen Jahren habe es aus Geldmangel zu wenig Pflegearbeiten gegeben, so Elbrandt. "Durch die Förderung haben wir jetzt die Möglichkeit, dass das Straßengrün wieder eine vernünftige Qualität bekommt." Auch Klaus-Dieter Gröhler, Bezirksstadtrat für Bauwesen in Charlottenburg-Wilmersdorf, will die Finanzierung und den Welterbe-Status nicht missen. "Es ist eine Gratwanderung zwischen Denkmal- und Naturschutz." Man müsse auch die Forderungen der Unesco berücksichtigen. "Es wäre ärgerlich, wenn wir den Status aberkannt bekommen."
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