Mietenkampf in Berlin: Polizei trickst Blockierer aus
Zwangsräumung in Berlin-Kreuzberg: Trotz heftiger Proteste kann die Polizei die Wohnungsräumung der Familie Gülbol durchsetzen.
![](https://taz.de/picture/172422/14/zwangsraeumung_wiener_1402.jpg)
Sie haben die Nacht in der Lausitzer Straße durchgemacht, die Aktivisten von dem Bündnis „Zwangsräumung verhindern“. Um kurz vor sechs wird es ernst: „So langsam erreichen uns Meldungen, dass sich Wannen sammeln“, posten sie auf der Bündnisseite, mit der sie seit Wochen gegen die Räumung mobilisieren.
Jetzt heißt es nichts wie raus, die Eingänge zum Haus blockieren, aus dem die Familie Gülbol verdrängt werden soll. Die Räumung ist für neun Uhr angesetzt. Über den Köpfen der Aktivisten dröhnt ein Hubschrauber. Die Polizei ist zum Großeinsatz ausgerückt. Es geht um die 122 quadratmetergroße Wohnung der Familie Gülbol. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit um Mieterhöhung und nicht gezahlten Mieten hat ein Gericht die Räumung bestätigt.
Die Polizei kommt früher als erwartet. Bereits um sechs Uhr hat sie die Straße in beide Richtungen abgesperrt. Die meisten Unterstützer machen sich erst jetzt auf den Weg und kommen nicht mehr in die Straße hinein. Sie setzen sich direkt an die Sperre am Eingang der Straße, damit sie die Gerichtsvollzieherin schon dort aufhalten können.
Es werden Pappen und heißer Tee gegen die Kälte verteilt. Es sind um die 500, die hier dagegen protestieren, dass immer mehr Menschen aus der Innenstadt von Berlin verdrängt werden. Sie versperren alle Eingänge und rufen: „Den Häusern denen, die drin wohnen.“ Mehrere Anwohner haben Transparente aus den Fenstern gehängt. Sie stehen auf den Balkonen und klopfen mit Kochlöffeln auf ihre Töpfe. Sie trommeln so laut, dass man den Hubschrauber nicht mehr hört.
Was sie nicht wissen: Die Gerichtsvollzieherin ist längst im Haus. Bereits um sechs Uhr ist die Polizei mit ihr über einen Nebeneingang in der Wiener Straße in das Haus eingedrungen. Was der Familienvater Ali Gülbol beobachtet hat: „Sie haben einen Zaun aufgeschnitten und eine Tür eingeschlagen“, sagte er am Rande der Räumung. Kurz vor neun hat er der Gerichtsvollzieherin ohne Widerstand den Schlüssel übergeben. Jetzt hat seine Familie keine Wohnung mehr und wohnt erst mal bei seinen Eltern, eine Etage darüber.
Die Gerichtsvollzieherin habe eine Polizeiweste mit Kennzeichnungsnummer und Polizeimütze angehabt, erinnern sich mehrere Anwesende, darunter auch der Abgeordnete der Linken, Hakan Tas. Ob sie dazu befugt ist, sei fraglich. Missbrauch von Amtsabzeichen kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden. Die Polizei wollte dazu keine Stellung nehmen.
Wie konnte es überhaupt zu der Räumung kommen? Die Familie hat einen jahrelangen Gerichtsstreit hinter sich. Nach eigenen Angaben hat Ali Gülbol die Wohnung für insgesamt 20.000 Euro auf eigene Kosten saniert. Dafür habe er mündlich mit dem Besitzer vereinbart, dass die Miete nicht steigen würde. Doch der Vermieter wechselte – und die Miete erhöhte sich um 93 Euro pro Monat.
Gülbol weigerte sich, das zu zahlen und der Fall kam vor Gericht. Nach mehreren Verfahren bekam der Vermieter recht. Die Gülbols beglichen die Nachzahlungen wie vom Gericht gefordert, allerdings mit Verspätung. Daraufhin bestätigte ein Gericht die vom Hausbesitzer beantragte Räumung. „In Kreuzberg ist es unmöglich, zu diesem Preis noch einmal eine solche Wohnung zu finden“, sagte Ali Gülbol nach der Räumung vor dem Haus. „Die Leute haben die Schnauze voll davon, immer nur zu schweigen“.
Nachdem die Blockierer erfahren, dass die Räumung längst gelaufen ist, ist die Enttäuschung groß. Sie saßen stundenlang in der Kälte. Zum Vormittag ziehen sie los zu einer Spontankundgebung. In der Oranienstraße stoppt die Polizei die Demonstranten. Die kehren um und rennen zurück zur Skalitzer Straße. Vereinzelt fliegen Steine gegen die Polizisten. Nach Polizeiangaben wurden zehn Polisten verletzt. 15 Demonstranten wurden festgenommen.
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