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Mielke ist wieder hinter Gittern

■ Vergangenheit hat den mächtigsten Mann nach Honecker eingeholt / Stasi-Chef gestern verhaftet / Vorwürfe: Begünstigung von Terroristen, Amtsmißbrauch, Korruption

Von Harald Rohde

Berlin (dpa) - Erst im März war Erich Mielke, der frühere Chef des gefürchteten Ministeriums für Staatssicherheit, aus der Untersuchungshaft in Ost-Berlin entlassen worden. Die Freilassung hatte der inzwischen abgelöste DDR -Generalstaatsanwalt Hans-Jürgen Joseph mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand des 82jährigen verfügt, gegen den wegen Amtsmißbrauch und Korruption ermittelt wurde. Ärzte wollten damals einen „erheblichen geistigen und körperlichen Verfall“ festgestellt haben. Seit Donnerstag sitzt der neben dem früheren SED- und Staatschef Erich Honecker einstmals mächtigste Mann der DDR wieder hinter Gittern. Unabhängige Mediziner bescheinigten jetzt dem ehemaligen Politbüromitglied nach einer Untersuchung in einem Krankenhaus der Volkspolizei Haftfähigkeit.

Das Ergebnis des Gutachtens kam überraschend. Zweifel zumindest an der Wahrnehmungsfähigkeit Mielkes gab es seit langem. Das Wort vom „Altersschwachsinn“ machte die Runde. Unvergessen ist in Ost-Berlin der letzte Auftritt des Ex -Stasi-Chefs vor der Volkskammer Ende 1989, bei dem sich der alte Mann zitternd mit den Worten „ich liebe euch doch alle“ von seinen Genossen verabschiedete. Das Plenum quittierte seinerzeit die peinliche Szene mit Gelächter.

Die Vergangenheit hat Mielke wieder eingeholt. Die Liste der Vorwürfe gegen ihn ist lang: Amtsmißbrauch, Korruption, Schädigung der DDR-Volkswirtschaft und persönliche Bereicherung. Ermittelt wird ferner, ob er sich mit der Aufnahme früherer RAF-Terroristen in der DDR der Strafvereitelung oder Begünstigung von Terroristen schuldig gemacht haben könnte. Geklärt werden muß, ob er für die Planung von Internierungslagern für „unzuverlässige“ DDR -Bürger verantwortlich ist. Die Staatsanwälte forschen auch, ob Mielke seine Hände bei dem Sprengstoffanschlag auf die Westberliner Diskothek „La Belle“ 1986, bei dem drei Menschen ums Leben kamen, in irgendeiner Form im Spiel hatte.

Seit 1925 Mitglied der KPD, machte sich Mielke in seiner Parteikarriere schon frühzeitig im Sicherheitsapparat der Kommunisten einen Namen. Anfang der 30er Jahre flüchtete er unter dem Verdacht einer Beteiligung an der Ermordung zweier Polizisten in die Sowjetunion. 1936 tauchte er in den Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg auf. Dort soll er nach Schilderung früherer Genossen hinter der Front an der „Liquidierung“ von Trotzkisten und Anarchisten durch den stalinistischen Geheimdienst beteiligt gewesen sein. Als in der DDR 1950 das Ministerium für Staatssicherheit geschaffen wurde, avancierte Mielke schnell zum Staatssekretär. 1957 stieg er zum Minister auf. 1976 folgte seine Berufung zum Vollmitglied im SED-Politbüro.

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