: Mickrige Jüngelchen
betr.: „Politischer Schamanismus“, taz vom 31. 8. 2000
Reinhard Kahls Blick auf die Jüngelchen, die mickrig aus dem Zug steigen und erfreut sind über den Aufwand und die Aufmerksamkeit, die man ihrer Gefährlichkeit zollt, ist halb richtig, halb irreführend. Richtig: Rechtsextremismus muss dringend richtig eingeschätzt werden. Irreführend: Wären Herrn Kahl lauter 100-Kilo-Schläger lieber gewesen?
Die Wahrheit liegt doch darin festzustellen, dass man die entfesselte Marktwirtschaft, den Kapitalismus, die Globalisierung, nicht ohne entsprechende radikale Ablehnung von Seiten der Betroffenen haben kann. Wenn das ganze Leben in Frage gestellt wird, wenn es keine Sicherheit mehr geben kann, dann greifen gerade die Jugendlichen zur Gewalt, denen sonst jegliches soziales und kulturelles Kapital zur souveränen Selbstbestimmung fehlt. Dies trifft für den deutschen Osten wie für den Westen zu. Der Appell an sie, auf Gewalt zu verzichten, ist geradezu verständnislos: Warum sollten sie ausgerechnet auf das einzige Mittel verzichten, mit dem sie sich Gehör verschaffen können, und dies ohne ermutigende Aussicht auf die Besserung der eigenen Lage?
Die Schwierigkeiten werden unkonventionell ausgelebt. Und zwar um so eher, als man jung ist, und nach rechts besonders dann, wenn alternative Protest- und Organisationsformen, alles Linke, durch Anpassung einerseits, gewaltige historische Irrtümer und Niederlagen andererseits diskreditiert erscheinen und nur die nationale Gemeinschaft als Auffangbecken angesehen wird. HEINER DIETZ, Heidelberg
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