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Michael Wolffsohn über NS-Täter-Jagd„Sind die Toten nicht mehr wert?“

Der Historiker Michael Wolffsohn kritisiert die Kopfgeld-Kampagne des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Er findet die Tätersuche „klamaukhaft“ und „dilettantisch“.

Zeit zum Abkassieren: War Ihr Opa auch ein Täter? Bild: ap
Cigdem Akyol
Interview von Cigdem Akyol

taz: Herr Wolffsohn, seit einer Woche hängen in mehreren deutschen Großstädten Plakate des israelischen Simon-Wiesenthal-Zentrums: Mit der Aktion „Last Chance“ werden bis zu 25.000 Euro Belohnung für Hinweise ausgelobt, die zur Ergreifung noch lebender NS-Täter führen. Sie finden diese Aktion schamlos. Warum?

Michael Wolffsohn: Weil es bei dieser Kampagne im Kern mehr um Werbung für das Simon-Wiesenthal-Zentrum geht als um Recht und Gerechtigkeit. Unter anderem ist das daran zu erkennen, dass die Aktion nur in vier Großstädten läuft. Was ist denn, wenn die gesuchten Verbrecher nicht in einer der Großstädte leben, sondern sich woanders verstecken? Kurzum: Die Aktion ist dilettantisch organisiert und konzipiert. Das lässt Rückschlüsse auf die Intensität der Absichten zu.

Wenn die Plakate etwa also auch in Herne hängen würden, fänden Sie die Kampagne weniger verwerflich?

Eine Ausweitung würde ja nichts an der Grundproblematik ändern: Was bringt eine solche Kampagne jetzt, wo die Schuldigen schon mit einem Bein im Grab stehen? Wenn es bisher versäumt wurde, die Täter systematisch zu verfolgen, bringt diese Aktion auch nichts mehr. Die Frage ist: Wurde es bisher versäumt? Und wir haben doch bei John Demjanjuk gesehen, dass viele Mitleid mit dem alten, kranken Mann bekommen, ihn sogar als Opfer gesehen haben. Das noch einmal? Nein danke!

Ein Verbrecher wie John Demjanjuk wird höchstens von seinen Sympathisanten als Opfer betrachtet.

Demjanjuk war ja am Ende nicht nur körperlich am Ende, sondern auch debil. Er wurde auf einer Krankenbahre in den Gerichtssaal gebracht. Der Sinn der Strafe, dem jeweiligen Täter klar zu machen, dass sein Verhalten nicht mit den jeweiligen Normen übereinstimmt, war nicht mehr möglich. Mit dieser Kampagne werden doch nicht die Himmlers oder Eichmänner gesucht, sondern die noch heute lebenden, damals kleinen, weil jüngsten Rädchen. Es stellen sich zu viele Fragen, als dass man diese nun mit einer Plakataktion beantworten könnte.

Bild: privat
Im Interview: Michael Wolffsohn

Seine Eltern mussten vor den Nazis aus Deutschland fliehen. Der umstrittene und streitbare Historiker (66) und Publizist lehrte an der Universität der Bundeswehr in München.

Um Ihre Wortwahl aufzugreifen: Ist Ihre Geschichtsrelativierung nicht pietätlos den Opfern gegenüber?

Als Sohn und Enkel von Holocaust-Überlebenden relativiere ich nicht. Punkt. Ich kritisiere die Werbekampagne des Simon-Wiesenthal-Zentrums.

Über den Hollywood-Stil der Kampagne und das ausgeschriebene Kopfgeld lässt sich sicherlich diskutieren. Aber ist es nicht eher pietätlos den Millionen Opfern gegenüber, nichts mehr zu machen?

Nein! Es ist den Opfern gegenüber pietätlos, solch eine kleine Summe auszuschreiben. Es ist die geldliche Quantifizierung der Ermordeten. Sind dem Wiesenthal-Zentrum die Toten nicht mehr wert? Fast alle Täter und Opfer sind verstorben, wir brauchen weiter eine intensive Aufarbeitung der Vergangenheit und keine Nachhilfe des amateurhaften Wiesenthal-Zentrums aus Jerusalem und Los Angeles.

Welches Sie als „klamaukhaft“ bezeichnen.

Ich habe Simon Wiesenthal gekannt, er hätte solch einer öffentlichkeitsheischenden Kampagne wohl nicht zugestimmt. Heute ist das Zentrum nur noch auf Showeffekte aus und sicherlich kein Stellvertreter für die gesamtjüdische Sichtweise.

Sie waren immer schon ein radikaler und kontroverser Querdenker: Sie haben vorgeschlagen, ein Eisernes Kreuz für Soldaten einzuführen, und warnten 2009 vor einer Ossifizierung der Bundeswehr. Jetzt diese verbale Guillotine gegen das Wiesenthal-Zentrum. Haben Sie keine Sorge, dass Ihr wissenschaftlicher Ruf leiden könnte?

Die Wiedereinführung des Eisernen Kreuzes habe ich nicht vorgeschlagen, ihr aber zugestimmt. Die Immer-Empörungsbereiten wissen nicht, dass das Eiserne Kreuz im Geist der preußischen Reformer und nicht von Adolf Hitler eingeführt wurde. Ich misstraue dem Mainstream. Ich will an die Wurzel, lateinisch „radix“, also radikal, selber denken, nicht mitlaufen. Wir wissen aus der NS-Zeit, was bei Mitläufertum geschehen kann. Mein wissenschaftlicher Ruf hängt von meiner wissenschaftlichen Arbeit ab und hat nicht gelitten.

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9 Kommentare

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  • WJ
    Warum jetzt?

    Warum jetzt und nicht vor über 60 Jahren?

     

    Damals lebte noch der große Teil der Kriegsverbrecher.

     

     

     

    Jetzt sind alle noch lebenden Kriegsverbrecher( wenn sie noch leben sollten) weit über 90 Jahren, möglicherweise haben sie noch Demenz oder befinden sich in einem schlechten Gesundheitszustand.

  • RD
    Rainer David W. Früh

    @Andreas Urstadt

     

    Woran haben Sie das "jüdische Aussehen" dieser Menschen erkannt? Haben Sie noch vom Opa die Richtlinien für Kopfvermessung und Nasenlänge aus der guten alten Rasse-Forschung im Regal stehen?

     

    Was wollen Sie uns mit dem übrigen Geschwurbel sagen?

     

    An die TAZ:

     

    Ich wundere und ärgere mich eigentlich nicht, dass es noch immer und immer wieder Menschen unter uns gibt, die diesen Schwachsinn auskotzen, wie Andreas Urstadt. Ich bin aber empört, dass solch ein Dreck hier zur Veröffentlichung gelangt.

  • Wolffsohn mag man folgen, oder seine Argumentation inhaltlich widerlegen. Bezeichnender ist im Grunde, wie die sog. Antisemitismuskeule hierzulande wirkt; oder auch nicht.

     

     

     

    Der großmediale Mainstream sowie die jüdischen Berufsoffiziellen schweigen weitgehend zur Causa, zu Wolffsohn eh' - und die "Best Friends", die ansonsten jeden Kritiker Israels gnadenlos als Antisemiten entlarven, die schweigen ebenso.

     

     

     

    Das erinnert an den vor einigen Wochen zu beobachtenden Karikaturenstreit bei der SZ. Das Inhaltliche, Peter Beinart und sein israelkritisches Buch, seine Abrechnung mit diesen neokonservativen amerikanisch-israelischen Organisationen wurde und wird in diesen Kreisen totgeschwiegen, die in dem Kontext durchaus zu hinterfragende SZ-Bebilderung als das Wesentliche und beinahe hibbelig missinterpretiert.

     

     

     

    Wolffsohn und Beinart sind eben Juden, die dürfen das und kommen nicht auf klamauckige Listen alter Männer, denen die Existenzberechtigung bereits weitestgehend weggestorben ist.

     

     

     

    Kontraproduktiv, der nach wie vor bestehenden Ernsthaftigkeit des Themas nicht angemessen ist diese private Kopfgeldjagd.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Das Eiserne Kreuz trugen auch Juden und oft wurde es zum temporaeren Schutz fuer die Traeger.

     

     

     

    Recherchiert waren die KZ Waerter nach 45 unten durch, Selbstmorde usw. Die wurden von den eigenen Familien geaechtet.

     

     

     

    Juden mussten sich nach 45 nicht verstecken. Und ich meine, das ist viel zu wenig aufgearbeitet. In den Dorfpensionsgaestebuechern meiner Grossmutter entdeckte ich datiert Ende 40er Anfang 50er juedisch aussehende Leute auf ganzen Fotoserien, auch i Z im Dorf. Das war dort Party und die machten voellig normal und unbefangen mit, alles auf Gegenseitigkeit. Schliesslich fand sich in einem anderen Band Namen und Adressen. Es waren wirklich Juden.

     

     

     

    Ich meine, von solchen Dingen muss es mehr geben. Der oeffentlichen buergerlichen Definitionsmacht widersprechend (die ja wohl nicht ganz sauber waren). Bei meiner oesterreichischen Linie fand sich genau dasselbe. Sowas wurde gern uebersehen, war s so selten??? Warum wurde es gern uebersehen.

  • F
    Fritz

    Das SWC hat sich in den letzten Jahren in eine Organisation verwandelt, die man beim besten Willen nicht ernst nehmen kann. Das sollte jeden spätestens nach der Sache mit Jakob Augstein klar sein, der - auf Hinweis des BlödelAutors Henryk Broder (!!!) - plötzlich in der Hitparade der schlimmsten Antisemiten dieses Planeten auftauchte.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Es stellen sich zu viele Fragen, als dass man diese nun mit einer Plakataktion beantworten könnte."

     

     

     

    Ja, es gibt Antworten in EINDEUTIGER Wahrheit, die die Symptomatik des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies" mit geistig-heilendem Selbst- und Massenbewußtsein beenden könnte. Doch wer will schon diese Wahrheit erkunden, wo es doch seit Christus gewohnter ist die Unwahrheit in Sündenböcke und Intrigen des Wettbewerbs zu verpacken!?

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Die Immer-Empörungsbereiten wissen nicht, dass das Eiserne Kreuz im Geist der preußischen Reformer und nicht von Adolf Hitler eingeführt wurde."

     

     

     

    Und der stets zeitgeistlich-reformistische Nationalsozialismus, der immernoch ein logisches Symptom des nun "freiheitlich"-bewußtseinsbetäubenden Wettbewerbs um ... ist, wurde faktisch auch nicht erst von Adolf Hitler erfunden!

  • Dass Verbrecher wie Demjanjuk auf der Bahre in den Gerichtssaal gebracht werden ist Taktik- nichts anderes. Die alten Mörder sind nicht zu alt für eine angemessene Strafe.

  • "Ein Verbrecher wie John Demjanjuk wird höchstens von seinen Sympathisanten als Opfer betrachtet."

     

     

     

    Das ist etwas arg vereinfachend - bei aller berechtigten Abscheu vor Demjanjuks KZ-Dienst muss man doch auch berücksichtigen, dass er aus der arg gebeutelten Ukraine stammte (Stichwort Terrorhungersnot von 1932/1933) und als Kriegsgefangener der deutschen vor einer schwierigen Wahl stand (man weiß ja, was sonst so mit sowjetischen Kriegsgefangenen passiert ist).

     

    Bei deutschen KZ-Wächtern gelten solche Einschränkungen allerdings natürlich nicht, die haben sich ihre "Arbeit" schließlich aus freien Stücken ausgewählt.

     

    Das Interview mit Wolffsohn ist im Übrigen ziemlich nichtssagend, aber für seriös halte ich den spätestens seit seinen abstrusen Folterüberlegungen ohnehin nicht.