Michael Jackson und die Rassenfrage: Black or White?
Während sich im Video zu "Black or White" Menschen aller Rassen und Ethnien vermischten, wurde der echte Michael Jackson immer undefinierbarer.
Die Worte, die der schwarze Schauspieler Jamie Foxx bei den Black Entertainment Awards in Los Angeles am vergangenen Sonntagabend wählte, waren schlicht. Und doch heizte Foxx damit eine bereits siedende Debatte an: “Wir wollen diesen schwarzen Mann feiern. Er gehört zu uns aber wir haben ihn mit jedermann geteilt.” Die Rede war natürlich von Michael Jackson, dem vergangene Woche verstorbenen Megastar des US-Popgeschäfts.
Jenseits von Klatsch und Trasch über das tragisch-bizarre Leben des Sängers hat sein Tod in der Blogosphäre eine äußerst kontroverse Debatte über die Bedeutung von Rasse, Hautfarbe und ihre Transgressionen ausgelöst. Es scheint, als habe Jacksons Tod die Diskussion losgetreten, die eigentlich die Kandidatur und Wahl Obamas hätte begleiten müssen. Doch im Wahlkampf war dem US-Mainstream das Thema zu heikel. Medien schafften es, den Elefant im Raum auf Zehenspitzen zu umgehen.
Vielleicht bedurfte es in der political correctness-Gesellschaft der USA des Schocks über die Trauer, die die freakige Person Michael Jacksons auslöst, um diese Hemmungen zu lösen. "Die Jackson-Familie hat Unglaubliches geleistet beim Aufbrechen der Rassenschranken," erinnerte der Bürgerrechtler Al Scharpton vergangene Woche die Öffentlichkeit an die außergewöhnliche Karriere der Arbeiterfamilie. Die "Jackson 5" waren die erste schwarze Gruppe, die es in den weißen Entertainment-Mainstream schaffte. Michael war der erste schwarze Künstler, den MTV promotete. Doch mit seinem weißer werdenden Gesicht verblasste auch das Versprechen einer post-rassistischen Welt. Kaum ein Star vor ihm hat so demonstrativ versucht, seine afroamerikanische Hülle bis hin zur Selbstzerstörung abzulegen.
Dass Michael Jackson dabei auch Geschlechtergrenzen überschritt, beschäftigt hingegen heute kaum noch. Der Star habe sich von einem schwarzen Mann in eine weiße Frau verwandelt, sei ein Verschnitt aus Altfreundin Diana Ross und Judy Garland – zu diesem Schluss kommen zahlreiche Nachrufe. Einen Grund sehen Soziolgen wie die Afrika-Forscherin Tricia Rose darin, dass Jackson den Rassismus und den Hass der Weißen insbesondere auf schwarze Männer schlicht internalisiert hatte, wie vor ihm viele schwarze Künstler.
So sang bereits 1929 Fats Waller in einem Jazz-Standard: “Was hab ich bloß getan um so schwarz zu sein?” Barack Obama, der erste schwarze US-Präsident, hat über dieses innerlich und äußerlich weiß sein wollen lange nachgedacht. In seinem Buch: “Dreams from my father” beschreibt Obama, wie entsetzt er war, als er im Life magazine von einem schwarzen Mann las, der versucht hatte, seine gesamte Haut weiß zu bleichen. Obama ist, wie Jackson, Kind der Babyboomer-Generation, die Rassismus noch als institutionalisierte Ordnung erlebt hat.
Jackson, der schon zu Lebzeiten Ambivalenz besonders unter Afroamerikanern auslöste weil er irgendwann einfach aufhörte schwarz zu sein, verkörpere die Schattenseite des US-amerikanischen Pluralismus, meint die Theologin Susan Brooks. Sie erinnert daran, dass ethnischer Pluralismus, wie religiöser Pluralismus, nicht bedeuten könne, dass sich das eine in das andere verwandelt, wie viele falscherweise hofften. Pluralismus sei vielmehr die starke Bejahung der eigenen Identität und eine Akzeptanz der Integrität und Identität des Anderen.
Hatte Michael Jackson das selbst gegebene Versprechen des Post-Rassismus falsch verstanden? In seinem Video “Black or White” sang er: “Ich werde mein Leben nicht damit verbringen, eine Farbe zu sein” und "Es ist unwichtig welche Hautfarbe du hast!" Wie falsch, möchte man in der Woche ausrufen, in der nicht nur Michaels Tod verhandelt wird, sondern der Oberste Gerichtshof der USA mit einem Mehrheitsurteil der konservativen Richter dafür sorgte, dass ein Stück Diskriminierung in der US-Arbeitswelt erhalten bleibt: Leistungstests nach ehtnischen Gruppen gegliedert seien erlaubt, befand das Gericht zum Entsetzen progressiver Kritiker.
Während Jacksons Black-and-White-Video kunstvoll Menschen aller Rassen und Ethnien ineinander morpht, wird der echte Michael Jackson mit jeder Verwandlung und Überarbeitung undefinierbarer und damit unverständlicher. In den Augen der Mainstreamgesellschaft macht ihn vor allem dies zu einer tragischen Figur.
Doch gibt es auch diejenigen, die Jackson nicht als Opfer seiner Obsessionen sondern als Pionier der Moderne feiern: Der Künstler, so schreibt die New York Times, habe das wachsende kulturelle Unwohlsein gegenüber Kategorien und ihrer Strukturen vorweggenommen. Musikalisch hatte sich Jackson tatsächlich als Solostar früh weg von der schwarzen Kategorie des R'n B hin zu einer eigenen Poprichtung entwickelt. Plattenläden wußten zunächst nicht, in welche Abteilung mit seiner Musik. Er trug als Mann Kajalstift um die Augen und militärisch anmutende Phantasiejacken, bis sich alle fragten: Ist er schwarz oder weiß, jung oder alt? Schwul, straight oder asexuell? Friedensengel oder Kinderschänder?
Tatsächlich lebte Michael Jackson, lange bevor Transgender es in die öffentliche Wahrnehmung schaffte, das Unbestimmbare vor. Lange bevor Thomas Beatie, die männlich umoperierte Frau in Ophrah Winfreys Talkshow ihre Vaterschaft ankündigte, verkörperte Michael Jackson die Identität im Fluxus. Das Stahlarbeiterkind aus Indiana schuf dabei, wie kaum ein anderer Star der USA, Raum für Menschen, die in keine Kategorie gehören wollen.
Dafür dankt ihm heute eine Generation von bikulturellen, mulitethnischen, sexuell experimentierenden jungen Menschen, wie sie in ihren Blogs schreiben, auch wenn sie ihn oft erst jetzt überhaupt entdecken. Auf seine vielleicht grotesk-tragische Art war der King of Pop kompromisslos darin, er selbst zu sein. Vielleicht ist es das, was nun vor allem die black community der USA dazu bewegt, ihre zwiespältigen Gefühle gegenüber Jacko schnell beiseite zu legen. Sie feiern landesweit in Gottsdiensten den King of Pop, besonders emotional und intensiv, ja sogar defensiv.
“Das System mag es, schwarze Männer fertig zu machen,“ sagt rückblickend ein Mann, der vor Jacksons Geburtshaus in Gary, Indiana, Blumen niederlegt. “Wie jede Gruppe, die Jahrhunderte der Unterdrückung erlebt hat, rücken wir zusammen, wenn wir das Gefühl haben, einer von uns wird ungerecht angegangen,” schreibt der schwarze Autor Bruce Britt in seinen Erinerungen an Jackson. Wie der Mann in Gary empfinden viele Afroamerikaner Jacksons zahlreiche juristische Kollisionen als institutionalisierten Rassismus, durch den sich die weiße Gesellschaft über einen erfolgreichen Schwarzen hermacht. So glauben viele, dass diejenigen, die nun an Jacksons Vergehen und Fehler erinnern wollen, überwiegend Weiße sind.
Jamie Foxx' Begrüßung beglückte daher all diejenigen, die Jacko endlich wieder heim in die black community holen wollen, der sich der Star ohne es je zu artikulieren, entwunden hatte. Andere reagierten wütend darauf, dass der King of Pop, der Fans aller Nationen und Hautfarben hat, nun von Schwarzen alleine beansprucht wird. Bei Ophrah hatte Jackson gesagt: "Ich bin stolz darauf, schwarz zu sein." Könnte es sein, fragen sich Nachdenklichere, dass der Hochtalentierte gleichzeitig stolz und voller Selbsthass war, wegen seiner Rasse? Absolut, antwortet eine chinesisch-amerikanische Bloggerin: "Rasse ist eben kompliziert!"
Wer Michael Jackson war, das hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. "Meine Mutter sah in ihm nur einen tanzenden und singenden Schwarzen," erzält eine weiße Frau, die Blumen für den Star zum New Yorker Apollo Theater bringt. "Meine Freunde und ich, wir sahen in ihm nur jemanden, der uns unglaublich Lust auf Musik und Tanzen machte. Mit ihm wollten wir, dass es in unserer Gesellschaft egal ist, wie du aussiehst," sagt sie. Wer will, kann auch nur einen durchgeknallten älteren Menschen in ihm sehen. So sagte ein verblüffter 24-Jähriger in einer New Yorker Radiosendung anlässlich Jacksons Tod: "Wow, ich wusste bis eben gar nicht, dass er schwarz ist."
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