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Micha Brumlik Gott und die WeltKant, als Nihilist betrachtet

Dass es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist, belegt nicht zuletzt die Geschichte der Philosophie: Beim jahresendzeitlichen Aufräumen meines Schreibtischs entdecke ich einen Zeitungsausschnitt, der mich seinerzeit sehr beeindruckte, den ich aber vergessen hatte. So meldete dpa ausweislich der Zeit am 17. 9. 2013 unter der Überschrift: „Gewalt und Vernunft“:

Ein Streit über den deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) hat in der russischen Stadt Rostow am Don zu einer Schießerei geführt. Der Polizei zufolge war ein Mann beim Einkaufen mit einem anderen Kunden ins Gespräch über den in Königsberg (heute Kaliningrad) geborenen Denker („Kritik der reinen Vernunft“) gekommen. Um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen, habe einer der Männer dem anderen erst die Faust ins Gesicht geschlagen und ihn dann mit einer Luftpistole angeschossen. Der Verletzte ist außer Lebensgefahr. Dem Täter drohen 15 Jahre Haft.“

Beim Grübeln über die beiden Männer aus Kaliningrad und ihre Motive habe ich mich nicht nur gefragt, was sie tatsächlich über den Königsberger Philosophen wussten, sondern auch, was aus ihnen wohl geworden sein mag, vor allem aber, was sie damals bewogen haben mag, dem Geist des ihnen offensichtlich bekannten Philosophen dermaßen zuwiderzuhandeln. Oder?

Karl Marx zufolge ereignen sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen zweimal: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. In diesem Sinn hat Heinrich Heine die Franzosen 1852 in seiner Schrift über die „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ vor der Tragödie der deutschen Philosophie gewarnt: „Lächelt nicht über meinen Rat, den Rat eines Träumers, der euch vor Kantianern, Fichteanern und Naturphilosophen warnt.“ Heine wusste, warum: Als Schüler Hegels war er der Überzeugung, „in Kant die terroristische Konvention“ erkannt zu haben.

Muss Tugend in Terror enden? Womöglich sind die Zeitgenossen Heine und Marx zu korrigieren, zumindest aber zu ergänzen: nach der Tragödie des Tugendterrors der Französischen Revolution, nach der Farce von Adolf Eichmanns Berufung auf Kant, der in Jerusalem behauptete, beim Judenmord nur seine Pflicht getan zu haben, nun eine – wenn auch blutige – Schmiere. „Schmierentheater“ aber sei – so Wikipedia – ein abwertender Ausdruck für oberflächlich gemachtes Theater.

Einmal auf der Spur, stößt man auf weitere Merkwürdigkeiten. Etwa dass nach Kants Tod im Jahre 1804 einer seiner Freunde, der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel, 1814 den Vorschlag unterbreitete, jedes Jahr an Kants Geburtstag, dem 22. April, eine Zusammenkunft mit Rede abzuhalten, wobei als Redner (es ging tatsächlich nur um Männer) für das jeweils kommende Jahr derjenige bestimmt wurde, der im Stück seines Kuchens eine versteckte Bohne aus Silber finden würde – so wurde aus der „Gesellschaft der Freunde Kants“ schließlich die „Bohnengesellschaft“. Und das ­Onlinemagazin der Martin-Luther-Universität Halle, wo dieses Mahl noch im Jahr 2016 abgehalten wurde, berichtet, dass die Bohne nach altem Muster von einer Mainzer Silberschmiedin angefertigt werden musste, denn: Schon zweimal ging das wertvolle Stück beim Verschlucken ­verloren.

Alle, die ob dieser Sottisen nun ratlos sind, seien mit einer ganz unheroischen, unniet­zscheanischen und unheideg­ger­schen Erklärung des Nihilismus getröstet: Kant selbst definierte das Lachen als „einen Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“. So im vierundsechzigsten Kapitel der „Kritik der Urteilskraft“. Vicco von Bülow, also Loriot, wusste genau, warum er in einem seiner erfolgreichsten Sketche sagen ließ: „Bitte sagen sie jetzt nichts, Hildegard.“ Dass das Nichts nichtet, glaubte Martin Heidegger verkünden zu sollen – Loriot wusste es im Anschluss an Kant besser: In Wahrheit ist derlei Gerede schlicht: lächerlich und damit nichtig.

Micha Brumlik ist Mitarbeiter am Zentrum für Jüdische Studien und lebt in Berlin.

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