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„Mich stören die Traditionalisten“

■ Ein Gespräch mit NDR-Bigband-Chef Dieter Glawischnig über Vergangenheit und Zukunft der Band und des Jazz

taz: Herr Glawischnig, in den 15 Jahren unter Ihrer Leitung hat sich die NDR-Bigband verstärkt dem Jazz gewidmet. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Dieter Glawischnig: Das Orchester hat sich zunehmend zu dem entwickelt, was wir immer wollten. Schon vor meiner Zeit ist begonnen worden, mit dem Orchester Jazz zu spielen. Das haben wir dann forciert, und die Wiederbesetzungen sind unter dem Aspekt erfolgt, Vollprofis im Metier zu verpflichten – perfekte Notenleser, doch jeder ein individueller Solist.

Die Bigband hat auch viel außerhalb des Jazz gearbeitet: von Literaturvertonungen über Rock bis ins klassische Fach.

Die stilistische Bandbreite der Band reicht von einer Traditionspflege bis zur Öffnung zur Avantgarde. Wenn die Klassiker immer die Fünfte Beethovens spielen, sollen wir Count Basie und Ellington spielen, wenn auch in neuen Arrangements. In der Fabrik haben wir einmal Rock- und Jazz-Rhythmen gegeneinandergespielt, und die jungen Leute fuhren auf Swing oder Modern Jazz genauso ab wie auf cheeka-deeka-dak-cheeka-deeka-dak – man muß die Musik nur heranbringen.

Sie haben das einmal beschrieben als „Bemühung um zeitgenössische künstlerische Ausdrucksformen auf der Basis der Tradition der großen Vorbilder“. Ist das noch Ihr Credo?

Diesen Satz muß ich immer wieder wiederholen, weil es schneller einfach nicht geht. Genauso wichtig ist die Avantgarde, die ganze englische Szene. Auch das Jimi Hendrix-Projekt war erstaunlicherweise toll. Da war ein richtiges Rock-Publikum in der Fabrik, Leder und Eisen sozusagen.

Wer entscheidet über die Projekte der Bigband?

Das macht die Redaktion. Jeder bringt seine Ideen und Projekte ein, und dann schauen wir, was geht und zeitlich paßt, damit das Programm variabel bleibt.

Wie bringt man die vielen Solisten in einem Band-Konzept unter?

Natürlich kann man nie alles berücksichtigen und gelegentlich ist da psychologische Feinfühligkeit erforderlich, aber letztlich ziehen dann doch alle an einem Strang.

Entsteht da tatsächlich so etwas wie ein Band-Gefühl?

Das kollektive Band-Gefühl wird immer besser, natürlich auch, weil die Band erfolgreich ist. Unser jetziger Kurs wird vom Haus voll unterstützt, was ja 1989 fraglich war, als viele ältere Kollegen in Pension gingen und die Band-Auflösung diskutiert wurde.

Ist die Zukunft jetzt gesichert?

Man weiß nicht, wie sich alles entwickelt, aber so teuer ist die Band nicht. Der gesamte Jahresetat wird bei circa 3 1/2 Millionen liegen. Eine Wetten daß...?-Sendung kostet 2 Millionen, da ist keine Relation. Und im Haus schaut's jetzt auch gut aus.

Erst über die Abwicklungsdiskussion scheint der Stellenwert der Bigband erkannt worden zu sein?

Wir haben ja immer gute Programme gemacht – im Archiv liegen wirklich Perlen. Aber die Band wurde hauptsächlich für Tanzgalas oder Kulenkampffs EWG verwendet. Bei EWG haben wir die Fanfare gespielt und noch einen Popsänger begleitet. Das war natürlich höchst unbefriedigend. Es wurde gar nicht erkannt, was für Potenzen da drin stecken.

Ihre Freiräume suchen Sie bei dem Grazer Free Jazz-Trio „Neighbours“?

Mein künstlerisches Anliegen ist immer noch die improvisierte Musik mit Konzept. Bis zu einem gewissen Grad möchte ich auch versuchen, das auf ein großes Orchester zu übertragen. Der eigentliche Sinn des Jazz-Spiels sollte nicht verlorengehen: Daß alles Hierarchische wegfällt, daß die Musik sich wirklich daraus entwickelt, was im Zusammenspiel des Augenblicks entsteht oder auch als Konzept, als Keimzelle vorgegeben ist. Das ist eine Potenzierung aller menschlichen Möglichkeiten auf den Augenblick.

Auch ein Versuch, das Jandl-Zitat „Die Verteidiger der goldenen Köpfe der Klassiker und jeglicher Normen sind die Zielscheibe“ zu verwirklichen?

Auch die freie Improvisation, der fast schon Klischeebegriff des Free Jazz, ist ja gar nicht so frei. Es kommen nur andere Gestaltungskriterien vor, er ist nur frei von gewissen älteren Mustern. Was mich stört, sind die verzopften Traditionalisten, die völlig zu sind für Entwicklungen im Jazz ab 1960. Diese Köpfe, die gehören natürlich... überzeugt – geköpft nicht.

Sie lehren auch im Fachbereich Jazz an der Musikhochschule. Auf einer Tagung haben Sie die Frage aufgeworfen, ob die Kreativität unter dem derzeitigen Boom in der Jazz-Ausbildung leiden könnte.

Die Ausbildung darf sich nicht nur auf die Tradition des Modern Jazz beschränken, sondern muß sich den improvisatorischen Möglichkeiten ab den 60ern öffnen. Es gibt viele junge Leute, die schon einen eher epigonalen Stil spielen. Wenn diese einen späten Coltrane hören, dann möchte ich aber schauen, was die oft für Augen machen. Liegt eine Gefahr in der derzeitigen Popularisierung des Jazz?

Die große Medienwirkung ist nicht die künstlerische Seite der Entwicklung in der Musik. Das ist redundante Musik, auf hohem handwerklichen Level.

Welches sind Ihre persönlichen Wünsche für die NDR-Bigband?

Daß neue kreative Ideen in möglichst großem Rahmen verwirklicht werden können, daß wir mehr als bisher in die großen Festivals Montreux, Den Haag oder New York eindringen, und daß möglichst viel auf CD dokumentiert wird.

Fragen: Folke Havekost

Geburtstagskonzerte: Heute und morgen, Fabrik, 21 Uhr

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