piwik no script img

Mezzosopran für Menschenrechte

Wenn Christina Daletska nicht auf der Bühne steht, sammelt sie Spenden für die Ukraine. Das gefällt nicht jedem

Kölner Philharmonie, ein Abend im Mai 2025. Nach dem Ende des Konzerts stellt sich die Sängerin Christina Daletska an eine der Saaltüren. Eine gelb-blaue Fahne liegt über ihren Schultern, in der Hand hält sie eine Sammelbox. „#peaceforukraine“ steht darauf. Sie bittet um Spenden für lebensrettende Medikamente. Nach dreieinhalb Jahren Krieg sei die Spendenbereitschaft deutlich gesunken, sagt sie: „Zu Beginn des Kriegs haben wir an einem Abend oft 5.000 Euro oder mehr gesammelt, heute sind wir froh, wenn es noch ein Drittel ist.“

Von den Szenen des Konzertabends in Köln berichtet Christina Daletska im Videogespräch aus der Schweiz. Die 40-jährige Sängerin stammt aus Lwiw, lebt aber schon seit über zwanzig Jahren im deutschen Nachbarland, derzeit im Kanton St. Gallen. Daletska ist eine gefeierte Mezzosopranistin mit einer wandlungsfähigen, drei Oktaven umfassenden Stimme. Sie tritt in den großen Häusern Europas auf: in den Philharmonien von Paris und Berlin, am Teatro Real in Madrid, im Wiener Konzerthaus. Und fast immer, wenn sie nicht auf der Bühne steht, kämpft sie für ihr Heimatland – als Organisatorin, Netzwerkerin, Fundraiserin. Seit Beginn des russischen Großangriffs sei sie „eher im zweiten Beruf Musikerin“, sagt sie. Für ihren Sängerinnenberuf wende sie jedenfalls weniger Zeit auf als für die Ukraine-Hilfe.

Musik und Menschenrechte sind seit Kindheits- und Jugendjahren ihre Themen. Als sie vier ist, lernt Christina Daletska Geige. Ihre Mutter ist Musikerin, sie fördert ihre Tochter. Als Jugendliche entdeckt sie ihre Leidenschaft fürs Singen. „Dass ich einmal Sängerin werden will, ist mir seit meinem 15. Lebensjahr klar“, sagt sie, „in dem Alter habe ich bei Aufführungen im Elternhaus schon Verdis ‚Aida‘ und Puccinis ‚Tosca‘ gesungen.“ Im Jahr 2003 – da ist sie 18 – geht sie in die Schweiz, um Geige zu studieren. Das Studium bricht sie nach zwei Semestern ab und konzentriert sich auf den Gesang. Ihren Durchbruch hat sie mit 24 Jahren, als sie Beethovens „Missa solemnis“ in der Tonhalle Zürich singt. „Für mich ist Beethoven der Menschenrechtskomponist schlechthin“, sagt sie, „denken wir nur an ‚Ode an die Freude‘ und Schillers Verse ‚Seid umschlungen, Millionen‘!“

Für Menschenrechte setzt sich Daletska in der Schweiz auch im Alltag ein: 2013 wird sie Botschafterin von Amnesty International. Ihren Aktivismus will sie nun in den Kosmos der klassischen Musik tragen, spricht in ihrem Berufsleben die gesellschaftliche Polarisierung, Krisen und Kriege an – auch, als Russland 2014 den Krieg in der Ostukrai­ne anzettelt. „Damals haben mich manche gefragt, ob ich nicht etwas übertriebe, wenn ich da von ‚Krieg‘ sprechen würde“, sagt sie.

Während des Gesprächs macht Daletska häufiger eine Geste, bei der sie die Finger ineinander verschränkt. Alles muss ineinandergreifen, will sie damit zeigen. Es soll wohl auch ein Symbol sein für ihr europaweites Netzwerk an Helfer:innen, das sie für die Ukraine-Hilfe aufgebaut hat. Gemeinsam organisieren sie unter anderem Transporte für Generatoren, Medikamente, Drohnen, Tourniquets – lebenswichtige Materialien für Menschen im Kriegsgebiet –, oder sie kaufen Geländewagen für die Rettungskräfte an. Einer ihrer freiwilligen Kollegen ist der ehemalige Schweizer Grünen-Politiker Urban Frye. Er hatte seine Partei verlassen, weil sie die Militärhilfen an die Ukraine nicht unterstützt hatte.

In ihrer Branche sei ihr Engagement inzwischen oft nicht mehr erwünscht, sagt Christina Dalets­ka. Sie ist als Sängerin selbstständig, schließt Verträge mit Ensembles und Opernhäusern – und diese hätten in jüngster Zeit vermehrt verlangt, auf Friedensbotschaften und Aufrufe zu verzichten. Möglicherweise, weil sie russische Firmen als Sponsoren nicht verschrecken wollten. Das Orchestra della Svizzera Italiana in Lugano schrieb ihr kürzlich in den Vertrag, politische Gesten und Aktivitäten „on or off stage“ seien untersagt. Ein andermal sei ihr die Begründung genannt worden, man wolle die russischen Kon­zert­be­su­che­r:in­nen nicht verärgern. Dalets­ka zählt weitere Fälle auf und sagt: „Ich mache mich in meinem Berufsleben gerade nicht beliebt.“

„Ich mache mich in meinem Berufsleben gerade nicht beliebt“

Christina Daletska

Sie arbeitet weiter mit russischen Künst­le­r:in­nen zusammen – wenn sie sich eindeutig gegen Putin aussprechen. Beispielsweise mit dem russisch-schweizerischen Schriftsteller Michail Schischkin oder dem aus Moskau stammenden Komponisten Sergej Newski, der das Stück „Göttin der Geschichte“ für sie geschrieben hat. Es basiert auf dem Gedicht „Der Asow-Feldzug“ des litauischen Dichters Tomas Venclova – einem imposanten Stück Anti-Kriegs-Lyrik. Mit Künstlerinnen wie Anna Netrebko würde Daletska nie kollaborieren. „Jede Person, die sich als Russin oder Russe bezeichnet, muss sich klar positionieren“, sagt sie. „Sich unpolitisch zu geben, während das eigene Land schlimmste Menschenrechtsverbrechen begeht, ist für mich keine legitime Haltung.“ Menschenrechte und Politik seien nicht dasselbe, sagt sie immer wieder. „Um das zu begreifen, muss man sich nur vorstellen, dass die Bomben auf das eigene Zuhause, die eigene Familie oder die eigenen Freunde fallen.“

Daletska will weiter Spenden sammeln, Hilfsgüter beschaffen, trotz aller Rückschläge. „Ich erlebe oft harte Momente“, sagt sie. „Für einen Bekannten, der gerade eingezogen worden war, haben wir eine Schutzweste und einen Helm organisiert. Als das Material unterwegs zu ihm war, erfuhr ich, dass er ein Bein verloren hat – in seinem zweiten Einsatz.“ In diesen Tagen hält sich Daletska in ihrer Heimatstadt Lwiw auf. Dort arbeitet sie als Freiwillige in einem Rehazentrum für kriegstraumatisierte Menschen mit Suchtproblemen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen