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Mexikos Bauern kämpfen um ihre Rechte, um Land und Freiheit – „tierra y libertad“. Der Befehlshaber ihres Heeres im Süden des Landes: Emiliano Zapata. Die Regierungsarmee ist übermächtig, und der Bauernführer hofft auf einen Verbündeten. Doch der lockt ihn in eine tödliche Falle. Von Anne Huffschmid

Zapata starb im Kugelhagel

Die Lust auf ein paar Tacos und ein kaltes Bier wurde Emiliano Zapata zum Verhängnis. Gerüchten über einen möglichen Hinterhalt hatte er keinen Glauben geschenkt. In seiner verzweifelten militärischen Lage wollte der Oberbefehlshaber des revolutionären Bauernheeres einfach daran glauben, daß er im Kavallerie-Oberst Juan Guajardo einen Verbündeten gegen die mächtige Bundesarmee gefunden habe.

Treffpunkt war die Hacienda von Chinameca, am 10. April 1919. Sie lag gerade fünfzig Kilometer südlich von Ayala, dem ersten Ort, den Zapata acht Jahre zuvor eingenommen hatte – eine Aktion im landesweiten Aufstand gegen den Diktator Porfirio Diaz. Auf dem feudalen Anwesen würde er heute Guajardo treffen und das gemeinsame Vorgehen besprechen. Schon im Morgengrauen bricht der kleine Trupp aus dem in den Bergen versteckten Hauptquartier auf, nicht mehr als 30 Männer begleiteten ihren General auf seinem letzten Ritt durch die vertrauten Landschaften von Morelos.

Kurz vor Mittag treffen sie in Chinameca ein. Noch während der Oberst seinen berühmten Gast begrüßt, wird plötzlich Alarm geschlagen: feindliche Soldaten seien gesichtet worden. Sofort befiehlt Zapata seinen Soldaten, das Terrain abzusuchen, Guajardo soll unterdessen die Hacienda verteidigen. Vom Feind keine Spur. Dennoch läßt der nervös gewordene General eine Reihe von Wachposten vor den Mauern des Anwesens aufstellen. Innerhalb der Gemäuer befinden sich jetzt nur noch die Hundertschaften des Oberst.

Verschiedene Einladungen zum Mittagessen auf dem Gutshof schlägt der Zapatistenführer pflichtbewußt aus. Schließlich, um genau zehn nach zwei, gibt er nach: Es ist ein anstrengender Tag gewesen, die Hitze macht seinen Leuten zu schaffen. Zehn von ihnen sollen ihn auf seinem Weg zu einem kleinen Imbiß begleiten, der Rest ruhte sich im Schatten der Bäume aus. Als er in das Anwesen einreitet, erwartet man ihn schon.

Eine Ehrenwache ist feierlich postiert, drei Trompetenstöße erklingen. Zapata steigt ab und nähert sich dem Hauptgebäude. Gerade will er über die Türschwelle treten, da setzt der Kugelhagel ein. Ohrenbetäubendes Knallen, von überall her wird gefeuert, von über tausend Schüssen berichtet noch am selben Abend ein Überlebender. Der General kann nicht einmal mal mehr seine Pistole zücken.

Drei seiner Gefährten werden erschossen, der Rest flieht Hals über Kopf. Nicht einmal den Leichnam ihres Führers können sie mitnehmen. Dieser wird von den Soldaten sofort in eines der Gebäude geschleift, auf den Rücken eines Maulesels gebunden und auf den Weg zum Hauptquartier eines anderen Generals geschickt: zu Pablo González, verantwortlich für die Eliminierung der „aufständischen Horden“ im Süden – im Auftrag des ersten verfassungsmäßigen Präsidenten der Republik, Venustiano Carranza.

Als ein Laufbursche die Botschaft überbringt, kann González es kaum fassen. Vielleicht war dies nur eine umgekehrte Falle und die Leiche gar nicht die des legendären Bauerngenerals, sondern die seines Verräters? Er läßt seine Truppen in Alarmbereitschaft versetzen. Am frühen Abend endlich reitet die Eskorte mit dem Kadaver in die Stadt Cuautla ein.

Auf dem Hauptplatz lassen die Soldaten ihre Beute aufs Pflaster gleiten und González, immer noch mißtrauisch, nähert sich dem Gesicht mit einer Laterne: Kein Zweifel, es ist Zapata. Erst jetzt schickt er ein Telegramm an seinen Auftraggeber: Guajardo habe seine Mission zur „allergrößten Zufriedenheit“ erfüllt und solle zum Brigadegeneral befördert werden.

In der revolutionären Mythengalerie hat Emiliano Zapata, nicht zuletzt dank Hollywood und Marlon Brando, längst seinen festen Platz. Was angesichts des zapatistischen Revivals zuweilen leicht vergessen wird: Er war weder ein ausgebeuteter Indio noch ein ein glühender Verfechter der nationalen Erneuerung. Angetreten war er vielmehr als Konservativer, der die althergebrachten Formen der gemeinschaftlichen Bodennutzung gegen die vorrückende Haciendawirtschaft verteidigen wollte.

Bis zu seinem Eintritt in die Politik verdingte sich der Kleingrundbesitzer, der etwas Vieh und Land geerbt hatte und als hervorragender Pferdekenner bekannt war, als Zureiter. Der kleine Bundesstaat Morelos, der südlich an die Hauptstadt angrenzt, war zu dieser Zeit drittgrößter Zuckerlieferant der Welt und galt als die modernste Region Mexikos: Nirgendwo sonst verdrängten die Plantagen so rapide den traditionellen Maisanbau.

Die politische Bühne betrat Zapata erst als Dreißigjähriger, als er im Jahre 1909 zum Vorsteher seines Geburtsdorfes Anenecuilco gewählt wurde. Von ihm erhofften sich die bedrängten campesinos vor allem die an hacendedos verlorenen Landtitel – zunächst noch im Rechtsstreit, schon wenig später auch mit Waffengewalt. „Tierra y libertad“, Land und Freiheit, war der Schlachtruf.

Nachdem erste Kontakte mit der revolutionären Verschwörung in anderen Teilen des Landes geknüpft wurden, wählte man Zapata wegen seines militärischen Geschicks zum Oberbefehlshaber der Befreiungsarmee des Südens. Im Mai 1911 setzte sich der Diktator Porfirio Daz nach Europa ab, kurz darauf ließ sich Revolutionsführer Francisco Madero zum neuen Staatsoberhaupt küren. Die aufständischen Zapatisten aber, die eben noch der Palastrevolution militärischen Nachdruck verliehen hatten, begannen den neuen Machthabern lästig zu werden.

Denn Zapata weigerte sich hartnäckig, auf den versöhnlichen Kurs der Zentralregierung mit den Oligarchien einzuschwenken: Seine Leute würden sich solange nicht entwaffnen, bis sie nicht das versprochene Land erhalten hätten. In seinem im selben Jahr deklarierten „Plan von Ayala“, der als Geburtsurkunde des unabhängigen Zapatismus gilt, fordert er die Umverteilung eines Drittels des Großgrundbesitzes und Rückgabe der überlieferten Landrechte. Francisco Madero wird darin zum „Verräter“ erklärt und die Nation zum Sturz des „neuen Diktators“ aufgerufen.

Allerdings war es im Jahre 1913 nicht das Volk, sondern der Oberkommandant der Bundestruppen, General Huerta, der den zwischen allen Stühlen sitzenden Madero schließlich vom Präsidentensessel putschte. Ruhe herrschte damit nicht im Lande. Während die zapatistischen Truppen sich im Süden als Guerillaverbände neu organisieren und die Landverteilung in Eigenregie übernehmen, wird das Huerta-Regime vom Norden her durch die Berufsheere von Pancho Villa und Venustiano Carranza militärisch bedrängt.

Im Juli 1914 trat Huerta schließlich ab und Carranza übernahm den vakanten Posten. Aber auch er kann sich nicht mit seinen ehemaligen Bündnispartnern einigen: auf dem Konvent von Aguascalientes – das historische Vorbild des chiapanekischen Guerilla-Spektakels im August 1994 – wurde zwar der zapatistische Ayala-Plan als Programm übernommen und damit erstmals das Agrarproblem als nationale Priorität anerkannt, der selbsternannte Präsident Carranza dagegen wird von den Delegierten nicht bestätigt.

Während dieser seinen „Regierungssitz“ vorübergehend in die Hafenstadt Veracruz verlegen muß, ziehen Zapata und Villa im Dezember 1914 in die Hauptstadt ein. Die fragile Front bricht bald darauf wieder auseinander, es fehlt vor allem an einer politischen Strategie zur nationalen Machtübernahme. So ziehen sich die Zapatisten wenig später wieder aufs Land nach Morelos zurück.

Zumindest hier soll die Revolution wie geplant stattfinden: Auf Basis einer radikalen Agrarreform wird die Enteignung der Hacienda-Ländereien vorangetrieben und gleichzeitig eine Art basisdemokratischer Selbstverwaltung eingeführt. Das größte Problem dieser „Kommunen von Morelos“ aber ist die Isolation und die fortgesetzte militärische Aggression vom Zentrum.

Dort bastelt man unterdessen an einer neuen Verfassung, die Anfang 1917 verabschiedet wird und in der sogar eine Reihe von zapatistischen Forderungen aufgenommen werden. Nach offizieller Lesart war der Sieg der Revolution damit endgültig besiegelt, der Krieg gegen die Revolutionäre im Norden und im Süden aber wurde unvermindert weitergeführt.

General González war an jenem 10. April bemüht, mögliche Zweifel an der Echtheit des toten Zapata zu zerstreuen. Schon am nächsten Tage lud er die Presse zum Fototermin mit der prominenten Leiche, jede Menge Filmteams nahmen die spektakuläre Beerdigung auf. Tausende kamen aus den umliegenden Dörfern, um ihrem Führer das letzte Geleit zu geben. Viele, so notierte ein städtischer Reporter beeindruckt, „zitterten von Kopf bis Fuß“.

Dennoch: glauben mochte es niemand so recht. Einige behaupteten, Zapata sei viel zu schlau für eine so plumpe Falle und habe ein Double zu dem verhängnisvollen Treffen geschickt. Zudem: Zapata habe eine Warze auf der rechten Wange gehabt, oder ein Muttermal auf der Brust, oder eine Fingerspitze habe ihm gefehlt – alles Merkmale, die der tote Körper nicht aufwies.

Andere erzählten, wie das Pferd Zapatas am Tag seiner Ermordung herrenlos durch die Berge galoppiert sei. Ganz weiß war es, sagten die Leute, wie ein leuchtender Stern. Und manch einer will auch den Reiter gesehen haben: In vollem Galopp sei er in die Berge geritten, ganz allein. Noch heute gibt es alte Menschen in Morelos, die überzeugt sind, daß Zapata bis in die 70er Jahre in den Wäldern versteckt gelebt habe.

Einen Tag nach dem Attentat indes kündeten die Titelblätter der Hauptstadt in blutroten Lettern vom „Sieg“ über den „blutrünstigen Rädelsführer“, der einen „wichtigen Schritt zur effektiven Befriedung der Region darstelle“. Mit dem Tode Zapatas, so frohlockten die carranzistischen Leitartikler vor einem dreiviertel Jahrhundert, sei es auch mit dem Zapatismus endgültig vorbei. Sie sollten sich irren.

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