Menschenrechtsverbrechen in Argentinien: US-Regierung wusste von Kinderraub
Spätes Geständnis: Die USA bestätigen die systematische illegale Wegnahme von Neugeborenen während der Militärdiktatur in den Jahren 1976 bis 1983.
BUENOS AIRES taz | Die USA wussten vom systematischen Kindesraubs während der argentinischen Militärdiktatur. "Wir haben uns gedacht, dass es sich nicht um ein oder zwei Kinder handelt", sagte Elliot Abrams, ehemaliger Unterstaatssekretär im US-Außenministerium, als Zeuge im Prozess gegen die früheren Diktatoren Jorge Rafael Videla und Reynaldo Bignone wegen mutmaßlichen Kindesraubs.
Die Menschenrechtsorganisation "Großmütter der Plaza de Mayo" schätzt, dass während der Diktatur mindestens 500 Säuglinge ihren Müttern in Folterzentren weggenommen und heimlich Adoptiveltern übergeben wurden. Die Frauen wurden meistens ermordet. Durch intensive Suche konnten die "Großmütter" bisher mehr als 100 geraubte Enkelkinder ausfindig machen. Das legt nahe, dass 400 Menschen, die heute älter als 30 Jahre alt sind, ihre wirkliche Identität nicht kennen.
Elliot Abrams war von 1981 bis 1985 Unterstaatssekretär für Menschenrechte im US-Außenministerium. Als Zeuge im Prozess bestätigte er nicht nur das Wissen der damaligen US-Regierung von Ronald Reagan über den Kindesraub. Abrams betonte auch die Systematik: "Wir wussten, dass es einen Plan gab, denn es gab viele Leute, die sie eingesperrt oder ermordet haben. Wir nahmen an, dass die Militärregierung sich dazu entschlossen hatte, Kinder an andere Familien zu übergeben."
Die beiden ehemaligen Chefs der Militärjunta, der 86-jährige Videla und der 84-jährige Bignone, sind mit sechs weiteren Exmilitärs angeklagt. Das Gericht verhandelt exemplarisch 34 Fälle von Kindesraub während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983. Der Kindesraub ist unstrittig, in dem Prozess sollen die Verantwortlichkeiten den mutmaßlich Beteiligten zugeordnet werden. Zudem will die Staatsanwaltschaft nachweisen, dass es einen systematischen Plan zur illegalen Aneignung der Neugeborenen gegeben hat.
"Ziel des Plans war die Verbreitung des Terrors, die Unterwerfung und die Vernichtung der Gegenseite. Deswegen mussten die Blutsbande getrennt, die Mütter von ihren Kindern getrennt werden", sagte Staatsanwalt Federico Delgado beim Prozessauftakt. In einer Videoschaltung aus dem argentinischen Konsulat in Washington wurde der 64-jährige Abrams vom Gericht in Buenos Aires befragt. "Ich erinnere mich an keine vergleichbare Angelegenheit wie diese", sagte Abrams. Die Diktatur in Argentinien sei "der schlimmste Fall" von Menschenrechtsverbrechen an Kindern gewesen, sagte Abrams.
Die Organisation "Großmütter der Plaza de Mayo" bewertet Abrams Aussagen als wichtigen Beweis. Deshalb sei es auch um so dringlicher, dass die USA alle geheimen Unterlagen freigeben, "um unsere Enkelinnen und Enkel zu finden und um die Mörder zu bestrafen". Menschenrechtsorganisationen gehen von 30.000 Ermordeten und Verschwundenen während der Diktatur aus.
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