Menschenrechtsbeauftragter Markus Löning: Der Freie
Sogar die Grünen schätzen den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung mittlerweile. Viel Macht hat er nicht, aber das bisschen nutzt er.
Guido Westerwelle scheint weit weg. Zwar liegt das Büro des Außenministers am selben, mit schwerem rotem Teppich belegten Flur wie das des Menschenrechtsbeauftragten. Doch die Distanz zwischen beiden könnte kaum größer sein.
Markus Löning ist so ziemlich das Gegenteil des Lautsprechers im Außenamt, der mit geringen Erwartungen startete und selbst diese noch enttäuschte. Aber seine Geschichte lässt sich nicht erzählen ohne Guido Westerwelle.
Die Runde am schweren Konferenztisch ist klein. Trotzdem stellen sich die drei Frauen und zwei Männer kurz vor. Als die Reihe am Herrn im rot-weiß gestreiften Hemd ist, sagt dieser ruhig: "Ich bin Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung." Als ob das die drei Leute vom Verein Iranischer Flüchtlinge in Berlin nicht wüssten. Wegen des Manns mit der randlosen Brille sind sie schließlich hier.
Hamid Nowzari berichtet von der Arbeit seines kleinen Flüchtlingsvereins. Davon, wie gebürtige Iranerinnen vor ihren gewalttätigen Männern ins Berliner Frauenhaus flüchten. Wie die Analphabetinnen zuvor ihren Gatten ahnungslos ins fremde Deutschland gefolgt sind.
Löning redet kaum. Mit einer Hand am Kinn hört er zu, raunt hier und da zustimmend "Hmm, hmm." Nowzari erzählt, in Iran verschwänden weiterhin Oppositionelle. "Nennen Sie mir einfach die Namen", entgegnet Löning, "dann leite ich das weiter".
Er wisse, die iranischen Gemeinden in Deutschland fingen Flüchtlinge auf, bereiteten sie vor auf den deutschen Alltag. "Das ist ein wichtiges Argument gegenüber dem Innenministerium."
Nur drei Mitarbeiter
Kontakte anbieten, Anliegen weiterleiten, ein bisschen Aufmerksamkeit schaffen - das sind Lönings begrenzte Mittel. Hinter dem pompösen Titel "Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" steht ein Büro mit drei Mitarbeitern. Ohne die mächtige Maschinerie des Ministeriums, das Heer der Referenten, Abteilungsleiter und Botschaftsmitarbeiter, läuft nichts.
Wenn Löning eine Konferenz organisieren oder reisen will, muss das Auswärtige Amt mitziehen. Dessen Sachkenntnis ist zwar immens, aber mitunter auch dessen Gleichgültigkeit. Zu seinen Fachgesprächen lädt Löning stets die zuständigen Referate im Haus ein. Sie sollen profitieren vom Wissen der Nichtregierungsorganisationen. Zum Gespräch mit den Iranern schickt das Länderreferat die Praktikantin.
Menschenrechtsbeauftragter zu sein, ist einer der schönsten und schlimmsten Jobs, die ein Politiker haben kann. Das Amt ist eine Erfindung der rot-grünen Bundesregierung. 1998 trat der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Gerd Poppe (Grüne) als Erster das Amt an.
Fünf Jahre später folgte ihm seine quirlige Parteifreundin Claudia Roth, von Januar 2005 bis Februar 2006 hatte der grüne Menschenrechtsexperte Tom Koenigs den Job inne. Nach dem Ende von Rot-Grün wurde erstmals ein CDUler Beauftragter: der knorrige Ex-Bürgerrechtler Günter Nooke.
Die vier versahen ihr Amt sehr unterschiedlich. Der Beauftragte hat zwar sein Büro im Auswärtigen Amt, er ist dem Außenminister aber nicht unterstellt. Die Menschenrechtsbeauftragten haben sich ihre Aufgaben gewissermaßen selbst geschaffen.
Unerfahren in Sachen Menschenrechte
Und dann kam Löning. Ein FDPler. Ein Eigentümer einer Werbeagentur. Ein weithin Unbekannter ohne nennenswerte Erfahrung in der Menschenrechtspolitik. Als Westerwelle im März 2010 Lönings Ernennung ankündigte, brandete dem Nominierten scharfe Kritik von Amnesty International und Grünen entgegen.
Volker Beck schimpfte: "Qualifikation? Durchgefallen." Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion argwöhnte, bei der Besetzung gingen "ganz klar FDP-Parteibuch und Parteiinteressen vor der fachlichen Qualifikation". Becks Urteil war vernichtend: "Die Ernennung eines auf dem Gebiet der Menschenrechte derart unerfahrenen Mannes schadet der Menschenrechtsarbeit."
Mittlerweile gelangt das Gespräch mit den Iranern zur entscheidenden Frage: "Wie finanzieren Sie sich eigentlich?", fragt Löning. Berlins Senat finanziere seit 24 Jahren eine halbe Stelle, sagt Nowzari. Der Verein wünscht sich mehr Geld, vor allem für Persischunterricht.
Polittaktisches Kalkül ist nebensächlich
Löning hat keines, erst recht nicht für Projekte im Inland. "Aber ich kann Ihnen anbieten, dass ich Ihre Schule mal besuche. Dann gibt es vielleicht ein bisschen Öffentlichkeit." Die Vereinsleute sind zufrieden. Löning will sogar zur nächsten Demonstration gegen die Todesstrafe in Iran kommen. Das gibt ein paar Fotos der Nachrichtenagenturen.
Löning wirft heute niemand mehr vor, er säße einen lukrativen Regierungsjob aus. Alte Wegbegleiter und neue Beobachter sind sich einig: Der gebürtige Emsländer ist ein verbindlicher, aufmerksamer Gesprächspartner ohne Allüren. Einer, dem es um die Sache geht und nicht um sich. Löning ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Westerwelle.
Löning muss und will sich nicht nach polittaktischem Kalkül richten: Er kann die Vollstreckung von Todesstrafen in den USA oder China kritisieren, ohne auf Folgen für die Handelsbeziehungen achten zu müssen. Der Nachteil: Weil ihm handfeste Druckmittel fehlen, bleiben seine Mahnungen ohne spürbare Folgen. Der Beauftragte ist mittendrin und doch nur dabei. Zumindest das hat er mit dem immer ratloser erscheinenden Außenminister gemein.
Im Amt gewachsen
Wie Westerwelle hatte Löning bei Amtsantritt kaum Fachkenntnisse. Von 2002 bis 2009 saß er im Bundestag, war dort immerhin Europaexperte seiner Fraktion. Beim Kampf um Listenplatz 1 der Berliner FDP unterlag der Landesvorsitzende 2009 seinem Dauerrivalen Martin Lindner. Der gegelte Fraktionschef wurde mit seiner Grundsatzkritik des Sozialstaats ein beliebter Talkshowgast.
Löning aber flog aus dem Parlament und legte den FDP-Landesvorsitz nieder. Als Westerwelles Karriere gen Höhepunkt strebte, als Außenminister und Vizekanzler, schien Lönings Karriere am Ende. Dann kam alles anders.
Rivale Lindner ist heute Hinterbänkler in einer orientierungslosen Bundestagsfraktion. Die Berliner FDP, die Löning fallen gelassen hatte, stürzte im September bei der Abgeordnetenhauswahl von 7,6 auf 1,8 Prozent. Der heute 51-Jährige aber ist gewachsen im Amt des Menschenrechtsbeauftragten.
Heute urteilt der einstige Kritiker Volker Beck: "Markus Löning zeigt sich sehr beherzt und engagiert. Im Vergleich zu seinem Vorgänger ist dies schon eine gewaltige Verbesserung." Das Lob des Grünen ist durchsetzt mit Seitenhieben gegen Schwarz-Gelb: "Aber auch Löning muss sich an Ergebnissen messen lassen. Und da vermisse ich hinter seinem couragierten Auftreten handfeste Taten. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass er schon mehr als einmal von der Regierungskoalition zurückgepfiffen wurde."
"Ich bin frei von äußeren Repressionen"
Das Gespräch mit den Iranern ist nach einer Stunde vorüber, der Beauftragte geht in sein Büro und setzt sich in einen der schweren Ledersessel. Und, pfeift ihn die Regierung manchmal zurück? "Ich bin ganz frei von äußeren Repressionen", sagt Löning. Weil sein Amt so konstruiert ist.
Aber ironischerweise auch wegen der Implosion der FDP: Löning muss nicht mehr um Posten kämpfen, denn es gibt keine mehr zu verteilen. Seine Partei kann froh sein, wenn sie nach der nächsten Bundestagswahl noch im Parlament sitzt. Erneut mitregieren und Ämter verteilen - damit rechnet heute niemand. Auch nicht Löning. In spätestens zwei Jahren wird sein Traum enden. "Ich will hinterher sagen können: Ich habe alles gemacht, was ich tun konnte."
An der Wand gegenüber Lönings Schreibtisch hängt eine große Weltkarte. Wofür auch immer er sich engagieren will - er kann es sich aussuchen. In eineinhalb Jahren im Amt reiste Löning unter anderem nach China, Argentinien, Tunesien, Ägypten, Pakistan, Aserbaidschan, in die USA und die Türkei.
In Brüssel und vielen Hauptstädten der EU-Staaten war er sowieso. "Wir brauchen in Brüssel einen Repräsentanten für Menschenrechte." Auch in der scheinbar heilen Welt der EU brauche es Aufpasser. "Wenn die Franzosen ihre Gefangenen schlecht behandeln, dann muss man darüber reden können."
Ächtung der Todestrafe
Bald ist die Hälfte seiner Amtszeit vorüber. Zeit für eine erste Bilanz. Hat er, der mahnen, aber nichts erzwingen kann, Handfestes erreicht? In diesem Sommer war Löning zum zweiten Mal beim jährlichen Treffen deutscher und chinesischer Politiker.
Die Stimmung in Peking war kühl. Aber als Erfolg rechnet er sich eine neue Regelung an: Erzwungene Geständnisse dürften in einem Verfahren nicht mehr als Beweis anerkannt werden. "Das beendet nicht die Repression von Menschenrechtlern", sagt Löning. "Aber wenn weniger Leute auf den Polizeistationen verprügelt werden, ist das eine gute Sache."
Damit zusammen hängt ein weiteres Ziel: die möglichst weltweite Ächtung der Todesstrafe. Dafür braucht er die Medien. "Trotzdem ist es frustrierend, dass es Öffentlichkeit vor allem für Einzelfälle gibt." Rund um die Hinrichtung eines Einzelnen berichte die Presse massiv. Wenn er aber Gespräche mit den Chinesen über deren Hinrichtungspraxis führe: kein Interesse. Dabei ist Löning sicher: "Kurzzeitige Empörung über Menschenrechtsverletzungen bringt so gut wie nie Verbesserungen."
Westerwelle klebt an einem Amt, das er nicht ausfüllen kann. Löning füllt ein Amt aus, um dessen Begrenzungen er weiß. Und was kommt danach? "Ich habe in meinem Leben bislang immer Glück gehabt", sagt er. Er ist gesund, seinen drei erwachsenen Kindern geht es gut. Seine kleine Werbeagentur hat er längst abgegeben. Alles wird sich schon fügen, irgendwie. So war es immer. Löning ist auch in dieser Hinsicht das Gegenteil des Machtmenschen Westerwelle. Er ist frei.
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