piwik no script img

Menschenrechte zur EM und zum ESCDann wohl doch nicht igitt genug

Jan Feddersen
Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen und Jan Feddersen

In der Menschenrechtsdebatte zur Fußball-EM in der Ukraine und zum Eurovision Song Contest in Aserbaidschan wird geheuchelt. Das führt zu nichts.

Gute Ukraine: Fußball. Schlechte Ukraine: Umgang mit Expremier Timoschenko. Bild: dpa

W ill man in diesen Tagen ein Interview mit dem deutschen Aspiranten für den Eurovision Song Contest (ESC) haben, bittet seine Plattenfirma freundlich darum: Bitte nicht nur Fragen über Menschenrechte in Aserbaidschan stellen!

Eine Rückfrage beim Management von Roman Lob ergibt: Momentan wollen alle Journalisten von diesem 20-jährigen Industriemechaniker hauptsächlich Expertise zu den sozialen Verwerfungen am Austragungsort des europäischen Pop-Wettbewerbs – und von ihm am liebsten hören: Na, das finde ich aber auch alles schrecklich, was da so vor sich geht.

Man darf inzwischen erwarten, dass demnächst Joachim Löws Auswahlspieler, die sich auf den Weg nach Polen und in die Ukraine begeben, nicht nach Adduktorenproblemen, Viererketten und Titelchancen befragt werden, sondern: Herr Podolski, Herr Schweinsteiger, Herr Reus, wie denken Sie über die politische Unterdrückung in der Ukraine? Mehr noch: Soll man diese Events boykottieren? Sind Sie solidarisch mit Julia Timoschenko?

Dumm und naiv?

So fällt der mediale Generalbass in Sachen ESC aus, so wird es in Zeitungen und Zeitschriften, bei „Kulturzeit“ oder bei „Titel Thesen Temperamente“ erörtert: Wäre es nicht eine Frage der menschenrechtlichen Korrektheit, nicht beim ESC mitzumachen?

Wie dumm und naiv, so wird unterstellt, können westliche Delegationen nur sein, dort zu performen, wo Meinungs- und Demonstrationsfreiheit klein gehalten werden? Aserbaidschan, Ukraine – Pfuhle politischer Verderbnis, die Verurteilung verdienen.

Bild: taz
JAN FEDDERSEN

Jahrgang 1957, ist taz-Redakteur und taz-(Buch-)Autor. Beim NDR schreibt er einen Blog auf www.eurovision.de.

Tatsächlich treffen vermutlich alle Befunde, ausweislich der Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Reporter ohne Grenzen zu: Aserbaidschan ist kein Land, das so rechtstaatlich funktioniert wie die Bundesrepublik oder die Schweiz.

Aber: Wenn man Länder wie dieses Öldorado am Kaspischen Meer für so sehr igitt hält, wenn man Staaten wie die Ukraine oder Weißrussland für derart indiskutabel erklärt, dann müsste die Konsequenz sein, sie aus allen internationalen Wettbewerbszusammenhängen im Sport und in der Unterhaltung auszuschließen. Dann dürften beim ESC etwa ein Drittel der Länder nicht mitmachen. Und vor der Fußball-EM in Polen und der Ukraine hätte ein Drittel der Landesverbände schon bei der Qualifikation verbannt werden müssen.

Café in einer Shopping Mall in Baku. Bild: imago/golovanow/kivrin

Menschenrechte interessanter als Roman Lob

In Wahrheit geht es hier viel um mediale Aufmerksamkeitschancen. Ginge es ernsthaft um Menschenrechte, würde man an die Zeiten der Entspannungspolitik erinnern: Jene, die am lautesten gegen die Zone und den Ostblock wetterten, kriegten dort, als es um Reise- und Besuchsfreiheiten ging, extra kein Bein an Land.

Medial gilt jedoch, was ein Journalist über den ESC sagte: Ich mache viel über Menschenrechte, weil Roman Lob nicht so interessant ist wie Lena Meyer-Landrut. Kommt in Deutschland auch besser.

Die Crux ist nur, dass die Menschen, um die es in Aserbaidschan geht, unbedingt möchten, dass der ESC-Tross dort Halt macht. Sie hoffen, die Fans und Journalisten würden ihre Augen aufmachen für ihre berechtigten Anliegen. Für die Zerstörung der Gründerzeitarchitektur Bakus zugunsten einer Modernisierung, die wie gläserner Schutt aussieht, der noch nicht zu Boden gesunken ist.

Menschenrechte, das ist vor allem das deutsche (Medien-)Problem, werden immer als Selbstbespiegelung inszeniert: Seht her, wie radikal ich mich einsetze! Boykotte nützten hingegen nie – weder bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau noch vier Jahre später in L. A. Anders gesagt: Die Gutherzigen spielen sich als solche auf – was sie tun, führt zu nichts.

Aserbaidschans NGOs haben noch nie so viel Interesse auf sich gezogen wie jetzt zum ESC. Das freut sie. Sie wissen jedoch, dass es nach dem Event erloschen sein wird. Die Mahner und Monierer wenden sich dann anderen Objekten zu. Gelegenheiten gibt es fast überall.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • JP
    jean pierre aussant

    Dass der Verbrecher Staat China die Regierung in Karthum unterstützt( 2 Millionen Christen in Süd Sudan ausgerottet in den letzten 20 Jahren), dass zu Hause China die Christen und vor allem die Katholiken unterdrückt, ist, allem Anschein nach, kein Problem für Herr Westerwelle, der, wie neulich bei der Hannover Messe vor den Chinesen kriecht um neue Verträge zu erhalten.

    In diesem Licht ist wahrscheinlich zu verstehen den extremen Aktivismus des deutschen Außenministers, was den Fall Timoschenko angeht, (Frau Timoschenko übrigens, die, nicht gerade die Inkarnation der Ehrlichkeit auf Erden ist).

    Diese ganze Komödie klingt, wie einen Versuch die Feigheit der Deutschen Diplomatie den Chinesen gegenüber zu maskieren (oder schnell zu vergessen) indem man jetzt übertreibt in die Kritik an der Ukraine, ja, wie eine Art Ablenkungsmanöver.

    Eines bleibt: Die Unfähigkeit die Menschenrechtslage zu denunzieren wenn es dringend und unverkennbar wäre, ipso-facto diskreditiert jede Gestikulation und Interventionen, wo es nicht so nötig ist.

    Welche Glaubwürdigkeit für den Bundespräsident Joachim Gauck oder Sigmar Gabriel, die vorige Woche als die Chinesen in Hannover waren, kein Wort ausgesprochen haben und die jetzt ihre ganze Empörung loslassen?

  • MH
    Mario H.

    Selbstverständlich haben Sie Recht, Herr Feddersen: die Demokratie wird auf die Ukraine und Aserbaidschan abfärben. Genau wie Bahrain, das ja seit dem Formel1-Ding als Musterland bekannt ist, und wie auch China, wo sich so viel getan hat.

     

    Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: der Kram ist politisch, dann kann man das nicht in solchen Ländern machen, oder er ist nicht politisch, dann hat die das ÖR bzw. der deutsche Politiker (auf der Tribüne) dort nichts verloren.

  • U
    Udo

    Mich interessiert mehr was dran ist an der Geschichte das Frau Timoschenko sich sattsam bereichert haben soll.

  • E
    elvatorpitch

    Scheinheilige Lippenbekenntnisse unserer Politiker für Freiheit und Demokratie.

    Wetten dass ...? Politiker, wenn Deutschland im Endspiel der EM stünde, auf der Tribüne im Stadion zu sehen sind!

  • M
    Marc

    ach herr feddersen!

     

    wenn die veranstaltungen auch menschenrechtemäßig was bringen sollen, gehört die boykottdebatte dringend dazu. es geht darum auszuloten, was gegen die despoten und für die leute am besten ist. einfach nur hinfahren und hoffen, dass etwas demokratie abfärbt - das reicht eben nicht. und alle, die das diskutieren, der heuchelei zu bezichtigen, erst recht nicht.

  • PB
    Pater Brown

    Hätte mich ja auch gewundert, wenn Feddersen nicht angetreten wäre, seinen Liebling Euro-Singsang zu verteidigen.

  • F
    F*G

    Die holde Demokratin Timoschenko, naja. Die Frau die gegen die bösen Kommunisten angetreten ist um für Recht, Ordnung und (fast vergessen) natürlich Freiheit zu kämpfen. Die liebe Frau Timoschenko hat die Blüten der Kommunisten viel schlimmer getrieben, als unsere so seriösen freiheitlichen Medien es vermeiden, diese bei Namen zu nennen. Sie hat im großen Stil Vettern- und Kastenwirtschaft betrieben, wovon die Kommunisten nur träumen konnten. Bestechung, Korruption und das große Handaufhalten war ihre Stärke. Halt eine Marionette gleichkommend. Ach wie läßt es sich so schön über Demokratie reden und gleichzeitig die eigenen Vorteile genießen. Schön, das Hr. Gauck, bezugenehmend auf seinen beschränkten Wortschatz, wo in jedem zweiten Satz das Wort " Freiheit" auftaucht, natürlich die holde korrupte Gran Dame der Ukraine in Schutz nimmt und für deren Rechte eintritt. Die Mehrheit der Bevölkerung wird so wie die Doofen mit der Holzuhr behandelt. Hätten die Kommunisten so ein Traha veranstaltet, wäre er wohl der Erste gewesen der im Rahmen eines Supotniks einen Scheiterhaufen aufgebaut hätte. Ja, wie sich die Zeiten ändern. Eigentlich tragisch, sonst könnte man tierisch ablachen.

  • IP
    Ibu Piletti

    Danke!!!