: Menschen essen Menschen
■ John S. Mehnert in Barry Collins' „Jenseits des Zauns“ / Premiere im Packhaus
Ein Tisch, ein Stuhl, ein Glas, eine Flasche Wasser, ein Herr im Zweireiher mit Aktenkoffer und ein Tribunal — das Publikum. Der Herr, ein Offizier, setzt an: „Was meinen Geisteszustand betrifft, so bin ich froh, daß Sie darüber zu entscheiden haben.“ Es geht um Kannibalismus.
Der Schauspieler John Siegfried Mehnert hat diesen harten Brocken auf die Bühne des Orchesterbodens im Packhaustheater gebracht. Es ist keine leichte Aufgabe, die sich Mehnert gestellt hat. Er kürzte die knapp viertündige Vorlage Jenseits des Zauns des englischen Autors Barry Collins um die Hälfte. Das Tabu-Sujet „Menschen essen Menschen“ hat psychologische, philosophische und auch technische Ebenen - viel Stoff für einen Monolog.
Mehnert beginnt kühl, sachlich und emotionslos zu berichten. Er, als Major Wulkow, war sechzig Tage lang zusammen mit sechs anderen Offizieren in einen Keller eingesperrt. Neun Schritte lang, elf Schritte breit und sechs Meter hoch. Die Männer waren nackt und ohne Nahrung. Am dreizehnten Tag ist der Hunger unerträglich geworden, die Einnahme von Urin und Sperma hilft nicht mehr. Die Gruppe kann nicht mehr ohne Angst schlafen, nachdem einer von ihnen im Wahn seine Zähne in den Schenkel eines Mitgefangenen schlug.
Die atemlose Spannung im Zuschauerraum ist spürbar. Da rüttelt jemand an den Grundfesten unserer Zivilisation. Doch das Knistern in der Luft entlädt sich nicht. Collins Vorlage läßt das nicht zu. Sie springt zwischen den Zeiten und in den Betrachtungsebenen. Auch ein Kernsatz richtet da nicht viel aus. Nachdem die Männer durch Losentscheid einen der ihren erdrosselt haben und ihn aufessen, sagt der Schauspieler auf der Bühne: „Die Genitalien bleiben relativ lange unberührt, und ein Kopf ganz und gar.“ Mehnerts sonore Sachlichkeit zu Beginn, dann sein Versuch, dem passiven Klotzkopf Major Wulkow mit verzweifelten Gesten Leben einzuhauchen: Um von der technischen Oberfläche abzurücken, die Konkretionsebene eines Zombie-Hörspiels zu verlassen, fehlt es der Vorlage an Tiefgang. Ein Mensch ist mehr als ein Wesen, das allein mit Fingernägeln und Gebiß einen anderen Menschen zu verzehren vermag. Die Verdrängung, die Außerkraftsetzung von Moral und Gesetzen im Zustand der Hoffnungslosigkeit blieben im diffusen Licht vager Andeutungen verborgen. Die Kraftanstrengung Mehnerts allerdings ist bemerkenswert. Das Publikum mochte vor Betroffenheit kaum klatschen. Jürgen Francke
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