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Meister des Katzenjammers

■ Geistesblitz und Daseinsblei: Emile Ciorans Lehre vom Zerfall – ein Vortrag von Hans-Jürgen Heinrichs

„Modern sein heißt am Ausweglosen herumbasteln“, sagt der rumänische Schriftsteller Emile Cioran in seiner Aphorismensammlung Syllogismen der Bitterkeit. In diesem Sinne gehört er zweifelsohne zu den modernsten Denkern dieses Jahrhunderts. Das geistige Wörterbuch dieses „finstersten aller Pessimisten“ variiert unablässig die Themen Verzweiflung, Einsamkeit und Tod. Davon sprechen auch die Titel seiner Bücher: Vom Nachteil, geboren zu sein, Die verfehlte Schöpfung, Gevierteilt oder auch Die Lehre vom Zerfall, das Paul Celan 1953 ins Deutsche übersetzte.

Von einer Lehre oder wissenschaftlichen Methode kann bei Cioran allerdings keine Rede sein. Als Aphoristiker in der Tradition Friedrich Schlegels oder Friedrich Nietzsches pflegte er immer eine Abscheu gegen weltumspannende Systementwürfe. Seine Stärke war der auflodernde Gedankenblitz, der das „Dunkel des Seins“ für einen Moment erleuchtet, um gleich darauf einen noch tieferen Eindruck der Finsternis zu hinterlassen.

Der Schriftsteller und Journalist Hans-Jürgen Heinrichs hat den öffentlichkeitsscheuen Cioran vor 16 Jahren in Paris aufgesucht, der Stadt, in der Cioran die längste Zeit seines Lebens verbracht hat. Die damals entstandenen Tonaufnahmen galten lange als verschollen, bis sie nach längeren Recherchen in einem römischen Keller ausfindig gemacht werden konnten. Der Kölner Supposé-Verlag hat dieses Material für eine CD-Produktion bearbeitet. Auch in diesen Gesprächen hat Cioran natürlich seine Themen „wiedergekäut“, wie er selbst es nannte. Nur rücken sie durch seine Stimme in ein anderes Licht. Seine stammelnde, tastende Art zu formulieren, manchmal von einer militärischen Bestimmtheit, manchmal von einem leisen Kichern unterbrochen, verrät einen doppelbödigen Humor, der sich beim bloßen Lesen seiner Texte nicht unbedingt erschließt.

In allem, was er sagt, ist er immer persönlich: Die Erinnerung an seine Kindheit in den Karpaten, wie er auf einem Friedhof mit einem Schädel Fußball gespielt hat, seine ersten Besuche in Paris, dieser „faszinierenden Hölle“, oder sein ambivalentes Verhältnis zu Frauen, denen er lange Zeit nur im Bordell Respekt zollen konnte. „Cafard“, mit diesem französischen Wort für Katzenjammer, dem unausweichlichen „Gefühl, verdammt zu sein“, umschreibt er seine Haltung als Schriftsteller, und so heißt auch die CD. Hans-Jürgen Heinrichs wird in seinem Vortrag über Cioran die Stimme des „Meisters der Melancholie“ immer wieder einblenden. Dabei dürfte deutlich werden, daß Cioran einer seiner Maximen immer gefolgt ist: „Jeder Gedanke sollte an die Ruine eines Lächelns erinnern.“

Joachim Dicks

Vortrag am 30. März um 20 Uhr im Literaturhaus, Schwanenwik 38

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